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Leuchtfeuer Der Liebe

Leuchtfeuer Der Liebe

Titel: Leuchtfeuer Der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
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hakte sich wie selbstverständlich bei ihm unter.
    Der Schreck der Berührung ließ ihn zusammenzucken. Seine Muskeln waren wie versteinert. Vielleicht spürte sie etwas davon, denn ihre Wangen röteten sich. „Was ist los?"
    Er blickte auf ihre Hand an seinem Ellbogen. „Tun Sie das nicht."
    „Ich vergaß." Rasch nahm sie ihre Hand von ihm. „Sie mögen es nicht, angefasst zu werden." Weiter stapfte sie neben ihm her, das Gesicht in den Wind gehoben, bis sich Tränen in ihren Augenwinkeln sammelten.
    Er wollte ihr schon sein Taschentuch geben, hielt sich aber zurück. Ihr prachtvolles Haar wehte hinter ihr her wie ein rotes Banner. Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Verärgert, dass sie ihn dabei ertappt hatte, wie er sie musterte, zog er die Schultern hoch und den Hut tiefer in die Stirn.
    An einem großen, knorrigen Stück Treibholz blieb sie stehen und betrachtete es eine Weile, studierte die ausgewaschene Holzmaserung, die tiefen Risse und klaffenden Kerben, in die sich Würmer gefressen hatten. Wortlos ging sie weiter. Ein paar Schritte entfernt lag ein Haufen Seemuscheln, zerschmettert und zerquetscht, mit schleimig grünen Algen umwickelt. Er sah, wie sie schauderte und ihre Schritte beschleunigte.
    Was mochte wohl in ihr vorgehen? Dachte sie an das Schiffsunglück? An den Vater ihres Kindes? Es gab viele Fragen, die er ihr aber nicht stellen wollte. Er wollte besser nicht wissen, welche Hoffnungen und Träume im Kopf von Mary Dare herumschwirrten.
    Je mehr er von ihr wusste, desto realer wurde sie für ihn. Alles, was er wissen wollte, war, wie schnell sie aus seinem Leben verschwinden würde.
    Wieder blieb sie stehen, diesmal vor dem Kadaver einer Seemöwe, deren helle Knochen säuberlich abgenagt waren. Nur die unversehrten weißen Flügel lagen in einigem Abstand von den Knochenresten, als sei der Vogel zerrissen worden.
    Mary hob den Kopf und schaute aufs Meer hinaus, auf die lang gezogene, weiß gekräuselte Linie der Dünung, die unerbittlich der Küste zustrebte. Jesse beobachtete sie wieder und fragte sich, was hinter ihren Augen mit dem gehetzten Blick vor sich ging. Er wusste nicht, was er mit ihr reden sollte. Es war so lange her, seit er mit einem Menschen mehr als die nötigsten Worte gewechselt hatte.
    Das Schweigen zog sich unangenehm in die Länge.
    Jesse räusperte sich.
    Schließlich begann sie zu sprechen. „Alles, was an Land gespült wird, ist beschädigt."
    Ihre Worte trafen ihn wie ein Schlag in die Magengrube, hart und unerwartet. Er wusste nicht, was er sagen, wie er reagieren sollte. Stumm blickte er sie an. Sie war so verdammt hübsch, wie sie das Gesicht in den Wind hob und ihr rotes Haar hinter ihr herwehte.
    „Die See geht rau mit den Dingen um", sagte er und riss den Blick von ihr los. Ja."
    Sie klang düster und hoffnungslos. Ihre Stimmung sollte ihn gleichgültig lassen. „Manchmal werden auch Schätze an Land gespült." Seine Worte klangen unbeholfen.
    Sie stieß den Atem aus und setzte sich wieder in Bewegung. „Ich habe noch keinen Schatz gefunden."
    Er musterte sie, als sie vor ihm herging. „Ich schon."
    Sie schien ihn nicht zu hören. Er spürte ihre Zweifel und ihre Besorgnis und andere Empfindungen, die ihn nichts angingen. Er spürte auch, dass sie ihm nicht glaubte. Und das ärgerte ihn sehr.
    Er bückte sich nach einem ausgebleichten Stück Holz und drehte es in den Händen, dann beschleunigte er seine Schritte, holte sie ein und ging neben ihr her. Genau wie sie es gewollt hatte.
    „Manchmal sind die zerbrochenen Dinge auf ihre Weise kostbar", sagte er, kam sich einfältig vor und musste dennoch weitersprechen. „Ein Stück Treibholz besitzt seine eigene Schönheit. Eine zerbrochene Muschel kann ein Schmuckstück sein. Und ein toter Fisch ist Nahrung für die Aasfresser."
    Sie warf den Kopf in den Nacken, wollte nichts davon hören.
    Und er spürte, dass dieses Gespräch sich nicht um Treibholz und tote Fische handelte, sondern um Mary Dare, die an den Strand gespült worden war, die sich für schadhaft hielt.
    Er hob den Arm und schleuderte das Treibholz im hohen Bogen von sich, ohne hinzusehen, wo es landete.
    „Ich finde, manche Dinge sollte man den Aasfressern überlassen", sagte sie.

6. KAPITEL
     
    „E hrlich, so viel habe ich in meinem ganzen Leben nicht geschlafen", murmelte Mary, schlug die Decke zurück und stieg aus dem Bett. Sie blickte aus dem Fenster in die Bäume, hinter denen der Sonnenuntergang den Himmel rosa färbte. „Ich habe

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