Leuchtfeuer Der Liebe
drückte seine Hand. „Das dachte ich mir."
Eine Windbö strich vom Meer herüber. Mary atmete die würzige Seeluft tief ein. „Es ist schön hier", sagte sie verträumt. „Und besonders jetzt."
„Wieso jetzt?"
Sie führte ihn um eine Wegbiegung in den Garten. „Na, deshalb."
„Verdammt!" Er blieb stehen, überrascht von dem Anblick, der sich ihm bot.
„Sie müssen ja nicht gleich in Begeisterungsstürme ausbrechen, Captain Morgan", bemerkte sie spitz.
„Sie haben Blumen gepflanzt."
„Ja, das habe ich."
„Überall."
„Ziemlich viele."
„Ich mag sie nicht. Die müssen wieder weg."
„Nein. Blumen sind schön. Bedeutet es Ihnen denn gar nichts, sich mit schönen Dingen zu umgeben?"
„Nein", antwortete er schroff.
Sie zuckte zusammen. „Dann tun Sie mir aber Leid." Sie unterdrückte ihre Enttäuschung und ihren Zorn. Ein Wutausbruch war genau das, was er von ihr erwartete. „Ich hatte einen guten Tag, Jesse. Einen wunderschönen Tag. Ich habe mir die Blumen von Palina geholt. Sehen Sie nur die entzückenden Stiefmütterchen mit ihren wippenden Köpfchen, und die Primeln sehen aus, als lächelten sie. Und ich habe Rosenstöcke gefunden."
„Rosen?" stieß er erstickt hervor. Sie führte ihn über den Rasen, und er betrachtete finster einen Rosenstrauch mit hellgrünen Blättern und zartrosa Knospen. „Wie, zum Teufel ..."
„Hier stehen seit langem Rosenstöcke, sie waren nur völlig überwuchert. Deshalb hat man sie gar nicht bemerkt. Jemand muss sie vor vielen Jahren gepflanzt und sich nicht mehr darum gekümmert haben." Sie bückte sich und drückte den Rindenmulch, mit dem sie das Beet bedeckt hatte, sanft um die Wurzelballen fest. „Auch vernachlässigte Rosen kämpfen ums Überleben, Jesse. Diese Stöcke haben viele Jahre durchgehalten, obwohl sich niemand um sie gekümmert hat."
Nachdenklich blickte sie über die bunten Beete und streichelte dabei ihren schwellenden Leib. „Eine Rose gehört dem, der sie pflegt, nicht dem, der sie gepflanzt und dann nicht beachtet hat."
Sie hörte, wie er den Atem hörbar ausstieß. Einen kurzen Moment, nicht länger als die Dauer eines Herzschlags, eines Augenblicks, erschien ein Ausdruck von Sehnsucht auf seinem Gesicht. Endlich hatte sie einen Riss in seinem Panzer entdeckt.
„Ich frage mich, warum diese Rosen ums Überleben gekämpft haben, obwohl niemand sie beachtet hat", sagte sie leise. „Wieso sind sie nicht vertrocknet und abgestorben?" Sie schlenderte an den Beeten entlang, die Magnus geduldig umgegraben hatte, bückte sich gelegentlich, um eine Blüte zu berühren oder die Erde um die Wurzeln fester anzupressen. „Gepflegte Rosen sind sehr dankbar, glauben Sie mir. Bis zum Herbst wird das eine wahre Blütenpracht sein."
„Im Herbst", sagte er leise, „werden sie wieder vernachlässigt sein, weil Sie nicht mehr hier sind, um sie zu pflegen."
9. KAPITEL
J esse fragte sich, ob Mary gespürt hatte, wie nah sie daran gewesen war, seinen Panzer aufzubrechen. Während der ersten Stunden seiner Nachtwache versuchte er, nicht zu denken, nicht zu fühlen. Doch je mehr er die Gedanken an Mary verdrängte, desto mächtiger stürmten sie auf ihn ein.
Sie ließ ihn einfach nicht zufrieden.
Zum Teufel mit ihr und ihrer aufdringlichen Einmischung. Was war nur an dieser Frau? Wieso setzte sie alles daran, sein Leben in Aufruhr zu bringen? Wie, um Himmels willen, sollte er ihr noch deutlicher machen, dass sie unerwünscht, dass hier kein Platz für sie war?
Er war ein Eremit, der sich von der Welt abgeschottet hatte. Er hatte einer Frau wie Mary Dare nichts zu bieten.
Mit der Präzision langjähriger Gewohnheit kurbelte er im Zwischenstock des Leuchtturms das Räderwerk an, eine Tätigkeit, die alle vier Stunden wiederholt werden musste. Die Zahnräder regulierten die Bewegung des Lichts. In einem bestimmten Rhythmus, gleichbleibend wie ein Herzschlag, streifte der Lichtfinger den Horizont ab, die ganze Nacht, jede Nacht.
Oft genug war dieses gebündelte Licht die einzige Hoffnung der Schiffe draußen in der Columbia-Mündung. Unzählige zerschellte Schiffsrümpfe auf dem Meeresgrund waren stumme Zeugen der todbringenden Sandbänke, Untiefen und mächtigen Unterströmungen. Erst seit der Leuchtturm vor etwa zwanzig Jahren errichtet worden war, gerieten wesentlich weniger Schiffe in diesen gefährlichen Gewässern in Seenot.
Jesse achtete mit penibler Sorgfalt auf das Leuchtfeuer. Kein einziges Mal in seiner Dienstzeit war eine Lampe
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