Leuchtfeuer Der Liebe
erloschen,
hatte nicht einmal geflackert. Bevor er den Posten übernommen hatte, hatte das Leuchtfeuer in einer Nacht nicht gebrannt. Vor zwölf Jahren, als das Schiff mit Emily an Bord versucht hatte, die Mündung zu durchqueren, war das Leuchtfeuer erloschen, und das Schiff war in der Dunkelheit auf Grund gelaufen und gesunken.
Es hatte eine Untersuchung gegeben. Der völlig verstörte Dienst habende Leuchtturmwärter hatte ausgesagt, ein Herr aus Portland habe ihn im Leuchtturm besucht, ihn zum Kartenspiel animiert und ihm Whiskey zu trinken gegeben. Und nun könne er sich an nichts mehr erinnern.
Die tragischen Folgen dieses menschlichen Versagens hatten Jesse an diese felsige Landzunge verschlagen, um eine lebenslange Strafe zu verbüßen, fest entschlossen, seine Pflicht niemals zu vernachlässigen. Hier würde er den Rest seiner Tage verbringen, bis er alt und grau sterben würde - aber nicht, ehe seine Nachtwache beendet war.
Mit den Bewegungen eines alten Mannes setzte er sich an das kleine Pult in einer Ecke des Zwischengeschosses und drehte den Docht der Petroleumlampe höher, schlug das Logbuch auf, holte den Federhalter aus der flachen Schublade und schraubte den Deckel des Tintenfasses ab.
Ein Windstoß vom offenen Fenster fuhr in die Seiten und blätterte sie durch. Und jeder eintönige Tag seines Aufenthalts auf Cape Disappointment zog an ihm vorüber, raschelnd wie welkes Laub im Herbst.
Aus einem unerklärlichen Grund deprimierte Jesse dieser Gedanke. Er hatte den flüchtigen Wunsch, einen Spaziergang an den Klippen zu machen, den er jedoch rasch wieder verwarf. Dies war seine letzte Zuflucht, seit Mary hier aufgetaucht war.
Jeden anderen Bereich seines Lebens hatte sie in Unordnung gebracht. Nur der Leuchtturm war von ihrem Eindringen verschont geblieben.
„Juhu!"
Jesse sprang so heftig auf, dass die Tinte überschwappte und in kleinen Rinnsalen wie schwarzes Blut über seinen Handrücken lief. „Verdammt noch mal", stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Sind Sie da, Jesse?" rief ihre helle Stimme fröhlich.
„Nein."
Ihr Lachen wehte zu ihm herauf wie ein Windhauch. Dann waren ihre Schritte melodisch klingend auf dem Eisengitter der Wendeltreppe zu hören.
Fluchend tauchte er einen Lappen in Leinöl und wischte die Tinte von seinem Handrücken.
Und von der Platte des Pults.
Und von den Holzplanken des Fußbodens.
Der Tintenfleck in seiner Hose musste bis zum nächsten Waschtag warten.
Bevor sie ihren Lockenkopf durch die Tür des Zwischenstocks unter dem Lampenraum steckte, hatte er sich eine Auswahl übler Beschimpfungen für sie zurechtgelegt. Doch als sie ihn anlächelte, vergaß er alles. Nur nicht ein Versprechen, das sie ihm gegeben hatte.
Eines Tages, Jesse Morgan, werden Sie mich küssen.
War dieser Tag gekommen?
„Hallo", grüßte sie und stellte einen Henkelkorb ab. „Ich habe Ihnen etwas mitgebracht."
Jesse war müde, er war es leid, sich gegen ihre unerbittliche, unentschuldbare Aufdringlichkeit zur Wehr zu setzen, und beschloss, für diesen Abend die Waffen zu strecken. Das war weniger anstrengend, als ihr Widerstand zu leisten.
„Fein", sagte er in stiller Resignation.
Im Begriff, eine Teekanne aus dem Korb zu nehmen, hielt sie in der Bewegung inne. „Was sagten Sie?"
Er nahm ihr die Kanne ab und stellte sie auf einen kleinen runden Tisch. „Ich sagte fein. Danke. Das ist sehr aufmerksam von Ihnen." Die höflichen Worte kamen ihm nur schwer über die Lippen. Sie näherte sich ihm. Er wollte zurückweichen, bevor sie ihn wieder küsste, aber sie küsste ihn nicht. Sie schnupperte an ihm.
„Was tun Sie da?" fragte er.
„Ich dachte, Sie hätten getrunken."
„Ich trinke nicht, wenn ich im Dienst bin. Wieso denken Sie, ich hätte getrunken?"
„Weil Sie plötzlich so nett zu mir sind. Höflich. So kenne ich Sie gar nicht."
„Madam, Sie kennen mich zu wenig, um zu wissen, wer ich bin."
Sie schlug eine Leinenserviette auf, in die sie einige Scheiben frisch gebackenes Brot eingewickelt hatte. Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen. „Oh nein. Und ,Madam' klingt zwar zu vornehm für meinen Geschmack, aber trotzdem vielen Dank. Das ist irisches Sodabrot. Haben Sie das schon mal gegessen?"
„Nein."
„Schmeckt köstlich zum Tee." Sie machte sich am Tisch zu schaffen, stellte Becher auf und schenkte Tee ein. Er lehnte sich im Stuhl zurück und ließ sie gewähren. Und dann breitete sich eine unerwartete Zufriedenheit in ihm aus,
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