Leuchtfeuer Der Liebe
als er genüsslich den Tee trank. Er war köstlich - warm, stark und süß.
Genau wie Mary.
Er hielt den Blick auf den Becher gesenkt, versuchte, an etwas anderes zu denken, und hoffte, dass sie ihn weniger leicht durchschaute als er sie. Sie schlenderte durch den winzigen achteckigen Raum und inspizierte die Messinstrumente. „Was ist das?" fragte sie.
„Das ist ein selbst registrierendes Patentthermometer. Die Außentemperatur beträgt zweiundfünfzig Grad Fahrenheit", erklärte er.
„Wie wird sie gemessen?"
„Die relative Lufttemperatur übt einen gewissen Druck aus, der die flüssige Quecksilbersäule im Glaszylinder steigen lässt." Unwillkürlich schlich sich ein gönnerhafter Ton in seine Stimme. Natürlich konnte sie nichts mit seiner Erklärung anfangen, da sie keine Ahnung hatte, wie Messinstrumente und astronomische Geräte funktionierten.
Sie legte den Finger an den Kugelbehälter des Glasröhrchens und beobachtete die ansteigende Quecksilbersäule. „Mir kommt das vor wie Magie."
„Es ist aber Wissenschaft."
„Aha." Sie nickte. „Erklärt die Wissenschaft, warum der Nordstern nicht direkt im Norden steht?" Sie richtete einen altmodischen Sextanten in den Nachthimmel und nahm den Polarstern ins Visier. „Der Kompass weist nach Norden, aber der Stern steht seitlich davon."
Nachdenklich nahm er eine Scheibe Sodabrot. „Die Kompassnadel weist durch Magnetkraft an einen Punkt, der nicht direkt im Norden liegt."
„Magnetkraft, nicht wahr?"
„Ja, Magnetkraft, nicht Magie." Er beobachtete, wie sie den
Sextanten wieder an seinen Platz stellte. „Die meisten Menschen wissen nicht einmal, dass es einen Unterschied gibt."
„Sie würden staunen, was ich alles weiß, Captain Morgan." Sie stieg die Leiter zum Leuchtfeuer hinauf und blickte in die Nacht hinaus mit einer Andacht, die sich in ihrer Körperhaltung ausdrückte, das Gesicht ganz nah an der Glasscheibe, beide Hände flach an das Fenster gelegt.
„Wunderschön", sagte sie, und ihr Atem behauchte das Glas. „Man möchte laut jubeln bei dem Anblick."
„Ich kann mich beherrschen."
„Sehen Sie nur die Bahn des Lichts, es fliegt wie ein Lichtvogel, von Schatten verfolgt."
„Wenn Sie meinen."
Sie legte die Hand an den Türriegel. „Darf ich?"
Da nur ein schwacher Wind wehte und die Nacht sternenklar war, nickte er. „Halten Sie sich am Geländer fest. Es geht ziemlich tief hinunter."
Eilig huschte sie ins Freie, und wieder folgte er ihr, redete sich ein, er müsse ein Auge auf sie haben. Sie hielt sich am Eisengestänge fest und blickte ins schwarze Nichts. Der Nachtwind spielte in ihrem Haar, entblößte ihren Nacken. Und als der Lichtstrahl sie erfasste, sah Jesse die helle, zarte Haut an ihrem Hals.
Er verspürte ein Verlangen wie seit vielen Jahren nicht, es hungerte ihn danach, die zarte Haut einer Frau zu berühren. Dies war keine flüchtige Gier, sondern eine Feuersbrunst, die immer stärker in ihm wütete. Er konnte nicht aufhören, sie zu begehren, sich vorzustellen, wie sich ihre samtweiche Nacktheit anfühlen würde. Er konnte nicht aufhören, an ihre süßen, weichen Lippen zu denken.
Er zwang sich, den Blick von ihr zu wenden. „Gefällt es Ihnen?" fragte er heiser.
„Oh ja. Ein herrlicher Anblick. Und all diese Sterne. Wie glitzernde Schneeflocken. Und dort drüben Tausende, dicht gedrängt wie ein Nebelschleier."
„Die Milchstraße", erklärte er.
„Eine Galaxie aus Spiralnebeln. In alten Zeiten nannte man die Spiralnebel Sterneninsel."
Jesse sah sie verdutzt an.
Sie erwiderte seinen Blick.
„Sie erstaunen mich", sagte er.
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Tatsächlich?"
„Sie wissen ziemlich viel ... das ist ..." Befangen hielt er inne. Ihm war kaum vorstellbar, dass es eine Zeit gegeben hatte, in der er, nie um Worte verlegen, ein glänzender Unterhalter gewesen war, ein gern gesehener Gast in den vornehmsten Häusern zwischen Portland und San Francisco. In den Jahren der Einsamkeit hatte er diese Fähigkeit verloren, wie so vieles andere auch. „So etwas..."
„So etwas haben Sie von einer ungebildeten Irin nicht erwartet", führte sie den Satz für ihn zu Ende. „Sagen Sie es ruhig. Ich habe, weiß Gott, eine Menge Vorurteile gegen uns Iren zu hören bekommen. Am schlimmsten war es in New York." Sie schnitt ein Gesicht. „Diese feisten Beamten im Einwanderungsbüro und die Hafenarbeiter, die brüllten: ,Kein Zutritt für Hunde und Iren'."
Jesse war zwar nicht an ihrer Vergangenheit
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