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Leuchtfeuer Der Liebe

Leuchtfeuer Der Liebe

Titel: Leuchtfeuer Der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
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keine Angst in der Brandung, wobei die Vernunft ihm sagte, dass sie weitaus tückischer war als das offene Meer, doch das Grauen in seiner Seele hörte nicht auf seine Vernunft. Sobald er den Fuß an Deck eines Schiffes setzte, packte ihn die Panik, schlug ihre scharfen Krallen in ihn und trieb ihn zurück an den Ort, wo Erde und See einander trafen, wo er bis an sein Ende gefangen war.
    „Er hatte Rechtswissenschaften studiert, aber den Beruf nie ausgeübt", hörte er Mary sagen.
    Ihre muntere Stimme holte Jesse in die Gegenwart zurück. „Was?" fragte er und schüttelte ungeduldig den Kopf. „Ich hörte nicht, was Sie sagten."
    „Ich erzähle gerade von Mr. Stevenson, einem wunderbaren Mann, obwohl er Schotte und ziemlich exzentrisch war. Er bestand darauf, dass ich ihn Malcolm nannte. Er war Passagier auf dem Schiff, sein Ziel war die Südsee. Die Sandwich Islands, die er nannte wie die Eingeborenen - Hawaii. Er war krank, der arme Mann, klagte aber nie. Schwindsucht, glaube ich. Und trotzdem liebte er das Abenteuer."
    „Und dieser Mr. Stevenson war Ihr ... Freund." Jesses Blick richtete sich unwillkürlich auf ihren runden Leib.
    „Wie können Sie es wagen?" fuhr sie ihn entrüstet an. „Malcolm Stevenson ist ein Ehrenmann mit einer liebenswürdigen Frau. Wie können Sie es wagen, auch nur eine Sekunde anzunehmen, dass Malcolm ... und ich ... wir ..."
    Jesse räusperte sich. „Wenn Sie von mir Höflichkeit erwarten, sind Sie an den Falschen geraten."
    Sie barg das Gesicht in den Händen, und ihre Schultern zuckten. Sie wirkte klein und verloren, und Jesse drängte es, sie tröstend zu streicheln.
    Er widerstand dem Wunsch.
    Als sie das Gesicht zu ihm hob, waren ihre Wangen bleich im fahlen Schein des Leuchtfeuers, aber sie wirkte gefasst. „Malcolm war mein Freund und ein wunderbarer Lehrer. Er hat mir einiges Wissen über die Sterne und das Wetter beigebracht. Es gibt so viel auf der Welt, was ich nicht weiß und so gerne wissen möchte." Sie seufzte.
    Ihre Hand ruhte auf ihrem Leib. „Es ist seltsam. Man sagt doch, die Umsegelung von Kap Horn sei das Gefährlichste, was man sich vorstellen kann. Doch die größte Gefahr habe ich hier im Norden erlebt."
    Der Wind frischte auf, drückte den Stoff ihres Kleides gegen ihre Beine. Jesse wollte nicht darauf achten und blickte dennoch gebannt auf die Konturen ihrer Schenkel. Er öffnete die Glastür und trat zur Seite. „Kommen Sie. Der Tee wird kalt."
    Ohne nachzudenken, streckte er ihr hilfreich die Hand entgegen. Sie schaute mit großen Augen zu ihm auf. Dann lächelte sie und legte ihre Hand in seine. Ihre Finger waren kühl und ein wenig feucht von der Seeluft. Er versuchte, nicht auf die befremdliche Energie zu achten, die zwischen ihm und Mary strömte, als sie vom Eisensteg in den kleinen Lampenraum trat, und fragte sich, ob sie dieses Knistern ebenfalls spürte.
    „Danke", sagte sie.
    Sie begaben sich zum Tisch, auf dem die Teetassen standen. Das Schweigen zog sich ungewohnt in die Länge, da Mary sonst so unverdrossen drauflos plapperte. Nur das Rauschen des Windes und der Brandung war zu hören. Sie trat gedankenverloren an das Pult und blätterte im Logbuch. „Er wollte mir Lesen und Schreiben beibringen", sagte sie.
    „Wer?"
    „Malcolm. Ich hätte es gerne gelernt. Aber nachdem unser Schiff in San Francisco eingelaufen war, entschloss ich mich, in der Stadt zu bleiben." Und nach einer Pause fügte sie hinzu: „Was steht in dem Buch?"
    „Aufzeichnungen. Ähnlich wie in einem Schiffslogbuch. Ein Leuchtturmwärter muss alles aufschreiben, was an einem Tag vorfällt."
    Ihr Gesicht hellte sich auf. „Dann ist es so etwas wie ein Tagebuch? Ist darin jeder Tag verzeichnet?"
    „Ja, ich mache jeden Tag meine Aufzeichnungen." Er wies auf die Bücher unter dem Pult. „Das sind die Aufzeichnungen meiner Vorgänger."
    „Jeder einzelne Tag", wiederholte sie gedehnt. „Wie ungewöhnlich." Sie legte das Logbuch vor ihn auf den Tisch. „Lesen Sie mir vor, was Sie an dem Tag aufgeschrieben haben, an dem Sie mich gerettet haben."
    Jesse spürte, wie ihm heiß wurde. Er blätterte eine Seite zurück und legte den Finger auf den Eintrag vom letzten Sonntag. Mary war aufgeregt wie ein Kind. „Lesen Sie mir vor, was drinsteht, Jesse. Uber mich hat noch nie ein Mensch ein Wort geschrieben."
    Er räusperte sich. „Sonntag, zweiter Juni 1876. Sechs Uhr fünf morgens. Bergung eines Schiffsbrüchigen weiblichen Geschlechts, einzige Überlebende des

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