Leuchtfeuer Der Liebe
sich an, bürstete sich das Haar, bis ihre langen roten Locken knisterten. Dann eilte sie in den Garten zum kleinen Verschlag und pflückte auf dem Rückweg eine Rose, deren Knospe sich gerade öffnete. Als sie die Küche betrat, deren Tisch bereits mit einem köstlichen Frühstück gedeckt warf, stand
Jesse am Herd und streckte die Hand nach der emaillierten Kaffeekanne aus.
„Einen wunderschönen guten Morgen!" rief sie munter.
Er griff nach dem Henkel. „Au!" schrie er, zuckte zurück und schüttelte die Finger. „Verdammt!"
Sie ließ die Rose fallen, eilte zu ihm und tauchte seine Hand in den Wassereimer im Spülstein. „Wieso tun Sie so etwas Dummes?" wollte sie wissen.
„Es war ein Versehen." Er zog die Hand aus dem Wasser und betrachtete finster die Blasen, die sich an seinen Fingern bildeten. Sein vom Schlaf wirres Haar glänzte in der Morgensonne. „Hab schlecht geschlafen", brummelte er.
Mary verbarg ihr Schmunzeln. „Ich habe herrlich geschlafen. Sie hatten ja auch Nachtwache im Leuchtturm."
Er umwickelte seine Hand mit einem Geschirrtuch, nahm die Kanne hoch, goss dampfenden Kaffee in einen Becher und trug ihn zum Tisch.
Mary räusperte sich.
Er schaute auf den Becher, dann hielt er ihn ihr hin. „Wollen Sie Kaffee?"
„Ja, gern, danke." Sie würde diesem Einsiedler Manieren beibringen, und wenn es sie ihre letzten Nerven kostete. Sie trank einen Schluck und setzte den Becher ab, hob die Rose vom Boden auf und stellte sie in einem mit Wasser gefüllten Glas auf den Tisch.
Jesse setzte sich mit einem zweiten Becher Kaffee und schob das Glas mit der Rose weit von sich.
Wortlos schob Mary das Glas zurück.
Wieder streckte er die Hand danach aus. Ihr scharfer Blick schien ihn zu durchbohren. „Lassen Sie die Rose stehen", sagte sie leise, allerdings in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.
Er schwieg und schenkte ihr keine weitere Beachtung. Mary bewunderte die Schönheit der Rose, die in den Farben der Morgenröte leuchtete. Die halb geschlossenen Blütenblätter verbargen noch scheu ihr Geheimnis. Morgen würde sie dann voll erblüht sein und den Betrachter wie mit einem rosigen Lächeln grüßen.
Mary scheute sich, Jesse in ihre träumerischen Gedanken einzubeziehen. Er saß ihr mürrisch gegenüber wie ein alter Bär, Kinn und Wangen mit dunklen Bartstoppeln bedeckt, den Blick seiner eisblauen Augen aus dem Fenster gerichtet.
„Ein sanfter Tag", sagte sie.
„Was?"
„Der Tag. In Irland nennen wir solche Tage sanft, wenn die Sonne durch einen feinen Dunstschleier scheint. Manchmal nennen wir solche Tage auch Regenbogentage."
Er brummte missmutig.
Sie suchte seinen Blick. „Jesse ..."
„Mary ..."
Beide sprachen zur gleichen Zeit.
Mary lachte. „Wie linkisch wir heute Morgen miteinander umgehen. Was wollten Sie sagen?"
Er räusperte sich und trank einen Schluck Kaffee. „Es tut mir Leid wegen gestern Abend ..."
„Ja?" Sie wollte es ihm nicht leicht machen. „Ich fürchte, Sie müssen etwas deutlicher werden. Ich bin etwas schwerfällig im Denken, müssen Sie wissen."
Er sah sie eine Weile prüfend an. Seine Züge wurden weicher, und es hatte beinahe den Anschein, als würde er wieder lächeln. Ach bitte, lächle noch einmal, drängte sie ihn stumm. Es war wie ein Wunder gewesen, als sein Lachen letzte Nacht über die Klippen von Cape Disappointment hallte, so unerwartet wie eine Rose, die im Winter erblüht. Vielleicht hatte er sie auch nur ausgelacht, dennoch hatte sein Gelächter sie mit Hoffnung erfüllt.
Heute aber war er wieder unnahbar und verschlossen. Sie wusste, dass sein Lachen ein seltenes Geschenk gewesen war. „Sie wollen sich also entschuldigen, Captain Morgan", sagte sie leichthin. „Und ich würde Ihre Entschuldigung gerne annehmen, wenn ich wüsste, was Sie verbrochen haben."
„Ich hätte mir keine Freiheiten mit Ihnen ..." Er stockte mitten im Satz, und eine verräterische Röte überzog seine Wangen.
Mit Unschuldsmiene verrührte sie den Zucker in ihrem Kaffee und sah ihn erwartungsvoll an.
Er atmete tief durch. „Ich habe mich nicht wie ein Gentleman benommen. Ich bin Ihnen ... zu nahe getreten."
„Tatsächlich?"
„Ein Mann darf sich einer Frau nicht aufdrängen."
„Ich erinnere mich an keine Aufdringlichkeit", erwiderte sie leise.
„Dann haben wir beide einen Fehler gemacht."
„Ach ja? Wieso?" Ihre Geduld ging zur Neige. Seine Hemmungen waren lachhaft und ärgerlich. Sie bemühte sich, nicht aufbrausend zu reagieren,
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