Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leuchtfeuer Der Liebe

Leuchtfeuer Der Liebe

Titel: Leuchtfeuer Der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
um sich zu sehr in seine selbst erwählte Einsamkeit zu drängen.
    Mary war diese Zurückhaltung fremd. Sie würde seine Tage erfüllen wie der Sonnenschein, der das einsame Haus auf dem Hügel durchflutete, und bevor er wusste, wie ihm geschah, würde er wieder lächeln können.
    Es war das Geringste, was sie für den Mann tun konnte, der ihr das Leben gerettet hatte. Für den Mann, den sie mit ihrem Erzähltalent zum Lachen gebracht hatte. Der sie in die Arme geschlossen und geküsst hatte, als hänge sein Leben daran.
    Eine dunkle Erinnerung verfinsterte ihr Gemüt. Plötzlich dachte sie an die Umarmungen, an die Küsse eines anderen Mannes. Würde sie je von der Vergangenheit frei sein?
    Um ihre düsteren Grübeleien zu vertreiben, beschloss sie, das Haus von Grund auf zu putzen. Gestern hatte sie den Garten bepflanzt, heute wollte sie einen Frühjahrsputz machen. Summend machte sie sich an die Arbeit, schleppte Wasser vom
    Brunnen ins Haus und schrubbte Böden und Möbel mit Seifenlauge ab. Zunächst nahm sie sich die Küche vor, die eigentlich nicht schmutzig war, nur irgendwie vernachlässigt.
    Als habe das Haus keine Seele.
    Sie putzte die Stiege und nahm sich schließlich Jesses Zimmer vor. Auch dieser Raum war seelenlos. Wie ein Zimmer in einer Fremdenpension, das niemandem wirklich gehörte.
    Ein Schauer durchlief sie. Ihre Wohnung in San Francisco war zwar luxuriös eingerichtet gewesen, mit roten Samtvorhängen, goldenen Fransen und kostbaren Teppichen, hatte aber eine ähnliche Ausstrahlung wie Jesses Zimmer gehabt.
    Die Wohnung einer Fremden, die sich bemüht hatte, keine Spuren zu hinterlassen. Der Unterschied lag lediglich darin, dass Jesse bereits zwölf Jahre hier lebte, ohne sich das Haus anzueignen, ohne ihm seinen persönlichen Stempel aufzuprägen.
    Sie schmückte das Fenster seines Schlafzimmers mit den restlichen Bahnen des gelben Baumwollstoffes. Auf dem Bett lagen eine grobe, graue Wolldecke und ein flaches, hartes Kissen. Sie holte Palinas gestickten Quilt mit der Meerjungfrau aus ihrer Kammer und legte ihn über das karge Bett.
    Während sie die Decke sorgsam glatt strich, empfand sie ein seltsames Prickeln. Was würde er sich wohl denken, unter dem Bild einer halb nackten Seejungfrau zu schlafen? Ob es ihm wohl gelingen würde, seine Gedanken rein und unschuldig zu bewahren?
    Sie versuchte, die klobige Füllung des Kissens aufzuschütteln, und runzelte die Stirn. Vielleicht gab es irgendwo ein weiches Kissen. Sie öffnete den hohen, grob gezimmerten Fichtenschrank und spähte neugierig hinein, entdeckte ein Gewehr und Munition und ein langes Messer, wie Holzfäller es benutzten.
    Ganz oben auf einem Schrankbrett lag ein Kissen. Sie stellte sich auf Zehenspitzen, erreichte einen Zipfel und zog daran, doch der Drillich schien sich verfangen zu haben.
    Sie zerrte heftiger, das Kissen fiel herunter und mit ihm ein Holzkasten, der sie am Bein traf und dann mit lautem Gepolter auf den Boden fiel. „Au", schrie sie und rieb sich das Schienbein. Dann bückte sie sich nach dem rechteckigen Kasten und betrachtete ihn lange. Auf dem Deckel der dunkel polierten, fein gemaserten Kassette war eine ovale Messingplatte mit einer Gravur eingelassen. Drei Buchstaben. Mary fuhr mit den Fingern darüber. Ein paar Buchstaben des Alphabets kannte sie. „E ... L ... M", sagte sie halblaut.
    Dies waren nicht Jesses Initialen. Sie wusste, wie ein J aussah, aber hier gab es kein J.
    Sie nahm die Schatulle hoch, um sie wieder an ihren Platz zu stellen. Eine Feder sprang mit einem melodischen ping, und das Schnappschloss flog auf. Erschrocken wollte sie es wieder schließen, doch der Deckel sprang wieder auf.
    Stirnrunzelnd stellte sie die Schatulle auf den Boden und untersuchte den Deckel, der schief in den Scharnieren hing. Ein schaler Duft nach Parfüm stieg ihr in die Nase - nicht unangenehm, nur alt.
    Sie wusste plötzlich, dass sie einen Blick in die Vergangenheit tat. In Jesses Vergangenheit.
    Der Inhalt war mit einer dünnen Schicht zerknittertem Seidenpapier bedeckt. Vorsichtig entfernte sie das Papier. Darunter lag sorgsam gefaltet ein weißes Damenunterhemd aus feinstem Batist, daneben befanden sich ein Paar zierliche Spitzenhandschuhe, deren Knöpfe so winzig waren, dass sie nur mit Hilfe einer Häkelnadel in die Ösen eingefädelt werden konnten. Die welken Blütenblätter einer Rose lagen zerkrümelt in dem durchsichtigen Stoff. Zaghaft entfaltete sie einen seidenbespannten, mit Vergissmeinnicht

Weitere Kostenlose Bücher