Leuchtfeuer Der Liebe
tatsächlich, das hätte etwas geändert?" Sie stand auf und trat zu ihm. Sie würde ihn berühren, das wusste er, und er würde es nicht zulassen. Doch als sie ihm übers Haar strich und ihre Hand tröstlich kühl an seine Wange legte, entzog er sich ihr nicht. „Nichts, was Sie hätten sagen können, hätte etwas geändert. Aber jetzt können Sie gesund werden, wenn Sie zulassen, wieder Gefühle zu haben."
„Weshalb sollte ich Ihnen glauben?"
„Weil das, woran Sie glauben, Ihnen nichts nützt. Weil Sie nicht vergessen können."
„Sie unterstellen, dass ich vergessen will."
„Sie müssen vergessen, Jesse Morgan, sonst sind Sie ein toter Mann."
„Genau", entgegnete er kalt. Er umschloss ihr Handgelenk mit eisernem Griff und schob sie von sich.
„Sich von der Welt abzuwenden ist ein großer Fehler. Ich kann Ihnen helfen. Aber Sie müssen mir vertrauen."
„Sie sind müde", sagte er, wollte sie nicht länger in seinen Wunden bohren lassen. In der letzten Stunde hatte er mehr Gefühle zugelassen als in den vergangenen zwölf Jahren. „Gehen Sie zu Bett", befahl er schroff. „Ich räume die Scherben auf."
Er machte sich daran, die Glassplitter aufzukehren. Sie rührte sich nicht von der Stelle und sah ihm dabei zu. Unwillkürlich streifte sein Blick die Wölbung ihres Leibes.
Und eine qualvolle Sehnsucht stieg in ihm hoch. Bis zum heutigen Abend hatte er keine Ahnung gehabt, dass er zu Gefühlen fähig war, wie Mary sie in ihm weckte. Er hatte immer geglaubt, diese Gefühle seien mit Emily gestorben. Doch plötzlich waren diese Gefühle wieder da, loderten in seinem Herzen wie eine Feuersbrunst, verbrannten ihn, weckten Hoffnung.
Und machten ihm vor Angst die Knie weich.
12. KAPITEL
A m nächsten Morgen lag Mary wach im Bett, blickte auf die weiß getünchte n Deckenbalken und horchte auf das Zwitschern der Lerchen hoch in den Lüften und auf das Rauschen der Brandung in der Ferne. Bald, wenn Habicht und Adler sich auf ihren Beuteflügen von den Aufwinden in den Himmel schraubten, würden die Singvögel verstummen.
Sie schloss die Augen und fragte sich, wo sich die Singvögel verbargen, wenn sie nicht zwitschernd durch die Lüfte flogen. Und dann dachte sie an Jesse. Wie immer. Letzte Nacht hatte sich alles zwischen ihnen verändert.
Etwas bewegte sich in ihr wie ein sanftes Flügelschlagen, und sie lächelte. Das Baby wuchs und wurde jeden Tag lebhafter. Bald würde sie kugelrund sein. Ihr Lächeln schwand. Sie dachte an Jesses Blick, bevor sie ihm Gute Nacht gewünscht hatte. Sein Blick war über ihren Bauch geglitten. Dabei hatte sie etwas in seinen Augen gelesen ... was? Erwartung? Neugier? Abscheu? Sie wusste es nicht.
Sie mutete Jesse sehr viel zu, wenn sie erwartete, er würde das Kind eines Fremden akzeptieren. Aber genau so sollte es sein. Es war ihr Wunschtraum.
Sie öffnete die Augen, richtete sich zum Sitzen auf, ihr Herz schlug schneller. Sie kannte die Antwort. Wunsch und Bedürfnis, die sie sich selbst nicht eingestanden hatte, vereinten sich plötzlich zu einer Erkenntnis.
Endlich war sie fähig, sich die Wahrheit einzugestehen. All ihre hochfliegenden Ideen, ihr Schicksal zu erfüllen und Jesse von seinem jahrelangen Kummer zu befreien - das alles war dummes Gerede. Ein Vorwand, um sich nicht einzugestehen, wonach sie sich wirklich sehnte. Sie wollte für immer hier mit Jesse Morgan leben. Sie wollte ihr Kind hier großziehen. Sie wollte Jesse lieben. Und so sehnsüchtig, dass es beinahe schmerzte, wünschte sie sich seine Liebe.
„Dummes Ding", schalt sie sich halblaut, sprang aus dem Bett und wusch sich. „Er ist wie ein wildes Tier, das sich in seine Höhle verkrochen hat und seine Wunden leckt. Was, um Himmels willen, sollte dieser Einsiedler mit einer wie dir anfangen? Und vergiss nicht, du hast schon einmal einem Mann dein Herz geschenkt, der dich gerettet hat. Und du weißt, wie das endete."
Sie zog die Bürste in heftigen Strichen durchs Haar, die allmählich langsamer wurden, während sie sich in Erinnerungen an den Vorabend verlor. Jesse hatte ihr das Haar gebürstet. Sie dachte an seine trägen, sinnlichen Bürstenstriche, die Vertraulichkeit seiner Bewegungen, mit denen seine Finger durch ihr Haar glitten. Sie dachte an die Zärtlichkeit in seinem Blick, so unverhohlen liebevoll, als habe er sie tatsächlich berührt. Vielleicht gab es Hoffnung, wenn Jesse es schaffte, sich von der Vergangenheit zu befreien. Er musste lernen zu glauben, dass Liebe nicht nur
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