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Leuchtfeuer Der Liebe

Leuchtfeuer Der Liebe

Titel: Leuchtfeuer Der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
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zwar eine ganze Menge, erzählte dabei aber nicht sonderlich viel von sich.
    Mit großen Augen nahm sie all die neuen Eindrücke auf, als sie die von Geschäften und Schänken gesäumte Hauptstraße entlangfuhren. Auf den Holzplanken der Gehsteige drängten sich Händler und Passanten. Am Straßenrand stand ein Herr mit Brille im feinen taubengrauen Stadtanzug und strich sich glättend über das schüttere Haar. Er blickte dem Einspänner nach, zog seine Taschenuhr aus der Weste, ließ den Deckel in einer nervösen Gewohnheitsgeste mehrmals auf- und zuschnappen. Aus dem Palace Hotel trat ein junges, weiß gekleidetes Paar mit Tennisschlägern unter den Armen.
    In ein paar Wochen würden viele Sommerfrischler im Hotel absteigen, wohlhabende Leute aus Portland und Seattle, um die Sommermonate am Meer zu verbringen.
    Vor vielen Jahren war Jesse einer von ihnen gewesen.
    Er bog in die Spruce Street ein, an deren Ende eine dünne Rauchsäule aus dem hohen Schornstein der Schmiede aufstieg.
    „Hallo!" rief eine singende Frauenstimme vom Gehsteig herüber. „Hallo, Mr. Morgan!"
    Jesse verzog säuerlich das Gesicht, überlegte einen Moment, ob er so tun sollte, als habe er nichts gehört, doch dann hielt er den Wagen an.
    Mit wogendem Busen bahnte Hestia Swann sich wie ein Schlachtschiff einen Weg durch die Menge der Passanten. Die bunten Federn ihres ausladenden Hutes wippten bei jedem Schritt auf und ab. Mit einem zuckersüßen Lächeln blickte sie zu Mary auf und musterte sie mit unverhohlener Neugier.
    „Aha, Sie zeigen wohl Ihrem reizenden Gast unsere schöne Stadt", säuselte Hestia. „Du liebe Güte, das arme Ding! Wie blass und mager sie ist - in ihrem Zustand. Ach je, die Ärmste. Hat sie einen Namen, Mr. Mor..."
    „Mary Dare", antwortete Mary, die ihre Belustigung nicht zu verbergen vermochte. „Ich mag zwar blass und mager sein, aber ich bin nicht taub. Und ich kann sprechen."
    Mrs. Hestia Swann hob ihren gewaltigen Busen und bedachte Mary mit einem strafenden Blick. „Und sind ein wenig vorlaut, wie mir scheint."
    „Oh ja, das sagte meine Mutter auch immer." Mary neigte den Kopf zur Seite. „Guten Tag, Mrs. ..."
    „Mrs. Swann", meldete Jesse sich nun zu Wort, der mittlerweile zur Überzeugung gekommen war, dass er den Verstand verloren haben musste, Mary in die Stadt zu bringen. „Mrs. Hestia Swann."
    „Freut mich, Sie kennen zu lernen, Mrs. Swann."
    Hestias schmale Lippen formten ein rundes ,0'. „Eine Irin?"
    „Ja, ich bin Irin", antwortete Mary. „Aus County Kerry."
    Jesse sah, wie Mary die Schultern straffte und das Kinn hob. Auf ihren bleichen Wangen bildeten sich zwei rote Flecke. Er fixierte Hestia, zwang sie, ihn anzusehen, und gab ihr mit einem eisigen Blick zu verstehen, sie solle es bloß nicht wagen, ein einziges abfälliges Wort gegen Mary oder die Iren ganz allgemein zu sagen.
    „Ich bin sicher, man wird Sie mit offenen Armen in Ilwaco aufnehmen", sagte Hestia eilig und wich Jesses beschwörendem Blick unstet aus. „Es grenzt an ein Wunder, dass Sie das Schiffsunglück überlebt haben."
    „Ja, es war ein Wunder", bestätigte Mary. „Und Captain Morgan verdanke ich mein Leben."
    Da Mary ihn formell betitelt hatte, würde Hestias blühende Fantasie wohl nicht weiter angespornt werden, Spekulationen darüber anzustellen, was zwischen Jesse und Mary im Leuchtturm vorgefallen sein mochte. Während er überlegte, mit welcher Ausrede er sich von Mrs. Swann verabschieden könnte, gesellte sich eine zweite Frau dazu.
    „Da ist ja unsere Patientin, wohlauf und munter!" sagte Fiona MacEwan, deren Beurteilung von Marys Gesundheitszustand im völligen Widerspruch zu Hestias Worten stand. Unter ihrem Rock lugten derbe Arbeiterstiefel hervor, in der Hand hielt sie eine große Einkaufstasche. Ohne abzuwarten, bis Jesse sie vorstellte, lächelte sie zu Mary auf. „Ich bin Dr. Fiona MacEwan. Es freut mich, dass Sie sich so gut erholt haben." Sie zwinkerte Jesse zu. „Wir fürchteten beinahe, Sie könnten nur durch den Kuss eines Märchenprinzen aufwachen."
    Hestia sperrte entrüstet den Mund auf, und Mary lachte hell. „Wäre das nötig gewesen, würde ich immer noch schlafen wie ein Stein. Sind Sie wirklich Ärztin?"
    „Ja. Ich habe an der medizinischen Fakultät an der Frauenuniversität in Philadelphia studiert."
    „Dann müssen Sie Captain Morgans verletzte Hand verbinden." Mary wies auf den blutverkrusteten Notverband.
    „Selbstverständlich. Kommen Sie in meine Praxis, Jesse", sagte

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