Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Leute, die Liebe schockt

Titel: Leute, die Liebe schockt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig Lange
Vom Netzwerk:
verrückt nach ihr. Ständig rufen die hier an und wollen mit ihr ausgehen. Und meine Aufgabe ist es, sie abzuwimmeln und zu sagen: »Leider schon vergeben.« Trotzdem leidet Cotsch unter diesen extremen Verlustängsten, die aber genauso gut in einen übertriebenen Freiheitsdrang umschlagen können.
Das ist kein einfaches Hin und Her, dem Cotsch da ausgesetzt ist.
    Mama presst ihre Lippen zusammen und ich streiche ihr zur Beruhigung über die Schulter. Aus den Augenwinkeln sehe ich zu meiner Schwester rüber, die sich einen losen Pferdeschwanz gebunden hat, sodass überall romantisch ihre blonden Locken rausfallen. Vermutlich wird sie die schönste Teenager-Schwangere, die die Welt je gesehen hat. Helmuth wird ihr stündlich die Füße und den Rücken massieren und ihr die ganze Zeit irgendwelche Köstlichkeiten ans Sofa tragen, um sie bei Laune zu halten. Ich weiß jetzt schon, dass er seinen Trainerjob wird aufgeben müssen, um meine Schwester durch die schweren Monate der Schwangerschaft zu geleiten. Die Frage ist nur, für wen diese Zeit emotional schwieriger wird: für Cotsch oder für Helmuth? Und ich wette, je dicker Cotsch wird, desto eifersüchtiger wird sie werden. Von wegen: »Helmuth, wo warst du?« Und er: »Einkaufen, mein süßer Schatz.« Und sie: »Das glaube ich nicht! Du triffst heimlich eine andere.« Oha! Der arme Helmuth.
    Ich frage mitfühlend: »Musstest du dich übergeben?«
    Meine Schwester nickt, und dann, als würde es jetzt schon mit der übertriebenen Eifersucht losgehen, geht sie entschlossenen Schrittes rüber zum Telefon, das auf dem kleinen Tischchen am Fenster steht, und nimmt den Hörer ab. Sie tippt eine Nummer ein und lauscht. Schließlich ruft sie: »Helmuth! Wo bist du? Bei einer anderen oder was? Ruf mich an, sofort!«
    Sie knallt den Hörer auf und, hab ich es nicht gesagt? Meine Schwester leidet unter Verlustängsten. Sie verschwindet
nach vorne in ihr Zimmer und überlegt, wo Helmuth sein könnte.
    Mama und ich bleiben auf dem Sofa zurück, und ich frage: »Soll ich Arthur rüberholen?«
    Mama lächelt und meint: »Würdest du das machen?«
    »Na klar.«
    Ich hole Arthur immer rüber, wenn Mama in Not ist. Arthur hat diese Aura, die sofort für Beruhigung sorgt. So als wäre er wirklich Jesus. Mich würde es nicht wundern, wenn Arthur auch noch die Gabe hätte, Blinde wieder sehend zu machen. Arthur tut Mama gut. In seiner Gegenwart schöpft sie neuen Mut und neue Kraft. Für Mama ist er ein Held, der das Schlimmste durchlitten hat und trotzdem noch auf zwei Beinen steht. Und darum sage ich ganz oft zu Arthur, er sollte so eine Art Priester werden, um den Leuten Mut und Kraft fürs Leben zu geben. Er ist ein echtes Vorbild. Aber er will nicht. Was auch nicht so schlimm ist. So haben wir ihn und seine Aura exklusiv.

3
    Ich gehe vorne aus der Haustür raus, an Papas Rosenbüschen vorbei, die auch schon die ersten zartgrünen Knospen tragen, und eine Tür weiter nach rechts, zu meinem geliebten Arthur. Jetzt stehe ich auf seinem gammeligen Fußabtreter und drücke auf die Klingel. Arthur hat nach der Zehnten die Schule abgebrochen und kein Abitur. Dafür holt er sich alle wichtigen Informationen aus dem Internet, weil er die »Zusammenhänge« begreifen will, wie er immer sagt. Ich weiß nicht genau, welche Zusammenhänge er meint, aber ich glaube, es geht darum, wie alles auf der Welt miteinander verknüpft ist. Von wegen, dass jede Handlung auch eine Konsequenz hat. Arthur weiß ziemlich viel, und ich schätze, dass er später mal in die Politik gehen wird, um die Menschheit zum Umdenken zu bewegen. Besonders der Umweltschutz und der faire Umgang mit der Dritten Welt liegen ihm am Herzen. Er meint: »Die Menschen müssen endlich begreifen, dass sie aufhören müssen, zu konsumieren und wild in der Weltgeschichte herumzufliegen. Wir müssen unsere Bedürfnisse wieder auf ein Normalmaß reduzieren, sonst geht es mit der Welt den Bach runter.« Ich versuche, mich daran zu halten, indem ich viel Fahrrad fahre, das Wasser beim Zähneputzen nicht laufen lasse und mir nicht ständig Zeug kaufe, das ich gar nicht brauche.
    Drinnen bei Arthur rührt sich nichts. Ich klingle noch mal, dann beuge ich mich runter und hebe die Klappe vom Briefschlitz an. Leute, wie oft ich da schon durchgeguckt habe! Hunderttausendmal. Früher, als ich noch heimlich in Arthur verliebt war und mich nicht getraut habe, bei ihm zu klingeln, habe ich ständig unbemerkt durch den Briefschlitz geglotzt. Nur

Weitere Kostenlose Bücher