Leute, die Liebe schockt

starken Trainerarm ganz um mich gelegt und mit ganz fester Stimme gemeint: »Jeder hat eine zweite Chance, meine Lütte. Wenn ihr beiden euch wirklich liebt, dann hält eure Beziehung diesen kleinen Ausflug aus. Sieh die Geschichte als Belastungsprobe. Wenn eine Beziehung wirklich stark ist und die beiden Menschen gut zueinanderpassen, dann ist so eine Sache zu überwinden. Verzeih dir. Geh zu Arthur und erzähl ihm von deinen Gefühlen. Das macht euch beide stärker.«
    Leute, und ich glaube, genau das mache ich jetzt. Mama hockt mit Cotsch und Papa im Garten und sie trinken Tee. Jeden Tag könnte es bei meiner Schwester nun so weit sein, dass die Wehen losgehen. Darum hat sich Papa heute mal großzügig bereit erklärt, sich als Vater und Großvater, der er ja bald sein wird, dazuzusetzen. Sowieso hat er sich in den letzten Wochen irgendwie ziemlich verändert. Er ist weicher geworden und fragt Cotsch
ständig, ob er etwas für sie tun könnte, ob sie und Helmuth noch etwas brauchen und so weiter. Das entlastet Mama natürlich total. Seitdem sieht sie irgendwie entspannter aus, und sie lacht auch mal zwischendrin, bevor ihr wieder eine neue Sorge einfällt.
    Und Cotsch hat sich sowieso ganz stark verändert. Die ist voller Glücksgefühle. Ständig streicht sie sich über ihren riesigen Bauch und strickt Söckchen und liest Bücher über Mutterschaft und meint, die Schwangerschaft sei das Beste, was ihr je hätte passieren können. Sogar ihre Abiturprüfungen sind alle sehr gut gelaufen und natürlich hat sie ihr Abitur mit Sonderauszeichnung bestanden. In der Schulaula gab es eine große Schulabschluss-Gala, auf der Cotsch und Susanna für ihre besonderen Leistungen geehrt und gefeiert wurden. Ich muss nicht sagen, dass Cotsch den meisten Applaus bekommen hat. Alle aus ihrem Jahrgang haben gerufen: »Unsere Mama lebe hoch!« Und: »Das Baby lebe hoch!« Dazu wurde mit Konfetti rumgeworfen und Luftschlangen flogen herum.
    Und nachdem mit Sekt angestoßen worden war, hat Cotsch von den Mädchen aus ihrem Jahrgang kleine Mützchen und Söckchen für ihr Töchterchen geschenkt bekommen. Mama hat sich vor Rührung an meinem Arm festgeklammert und auch Papa sah irgendwie stolz aus in seinem Anzug. Diese Masse der gratulierenden Mädchen war wirklich das Witzigste, weil die doch Cotsch früher eigentlich alle nie leiden konnten. Aber ich glaube, die waren einfach nur froh, dass Cotsch jetzt erst mal mit Mutterschaft beschäftigt ist und sich nicht mehr so viele Jungs unter den Nagel reißen kann.
    Cotsch hatte glänzende Tränen in den Augen und hat
alle Mädchen umarmt, die ihr sonst das Leben zur Hölle gemacht haben, weil sie so neidisch auf ihre Schönheit und Klugheit waren. Die Mädchen haben über Cotschs Bauch gestreichelt und ihr versichert, was für eine Hochachtung sie vor meiner Schwester haben, dass sie so mutig ist und die Schwangerschaft trotz ihrer Karrierewünsche durchgezogen hat. Das Beste aber ist: Meine Schwester hat tatsächlich ein Fotoshooting für Schwangerenmode absolviert! Den Katalog haben sich Mama und Papa stolz im Wohnzimmer auf den Beistelltisch gelegt, und Rita ist vor Neid ganz blass geworden, weil Cotsch eine Stange Geld damit verdient hat und jetzt eine Katalogberühmtheit ist. Helmuth hat sich die Bilder gleich vergrößern und opulent rahmen lassen. Die hängen jetzt bei ihm über dem Esstisch und dem Sofa und im Badezimmer. Überall lacht eine dicke Cotsch in romantischer Schwangerschaftsmode von der Wand. Ihr seht, Leute, irgendwie hat sich alles zum Guten gewendet. Da wäre es doch fast traurig, wenn es mit mir weiter den Bach runtergehen würde.
    Ich schwinge meine Beine vom Bett und setze mich auf die Kante. Ich atme tief ein und aus, zünde mir zur Beruhigung eine Zigarette an und rauche ganz langsam. Es muss doch möglich sein, mich zu spüren, von der Mitte meines Bauches aus in alle Richtungen bis zu meinen Körperwänden. Das bin ich. Ich sitze hier. Auf meinem Bett. In diesem Zimmer, mit dem hellblauen Sofa, dem Schreibtisch mit dem gerahmten Foto, auf dem Cotsch und ich als kleine Mädchen mit riesigen Reiterhelmen auf zwei Ponys sitzen und in Papas Kamera lachen. Mit dem Teppich und den Rosenbüschen vor dem Fenster
… Mit alldem habe ich meine Kindheit und Jugendverbracht. Hier bin ich. Das ist mein Zuhause. Ich bin hübsch und ich habe das Herz auf dem rechten Fleck. Ich bin witzig, ich versuche ehrlich zu sein und ich kann kochen. Ich bin freundlich und bin eine gute