Leute, die Liebe schockt
verliebt. Na ja, ich wollte, dass du es als Erste erfährst.«
Ach, das ist ja nett. Echt sozial von Johannes. Äh, ja, Leute, ich denke, für den Moment habe ich keine weiteren Fragen mehr, jedenfalls keine, die ich zwingend Johannes stellen müsste. Das Konzert wird sowieso gerade vorbei sein und Alina wartet vor dem Backstagebereich auf mich.
Ich stoße die Wagentür auf und schlage sie wieder zu. Dann gehe ich Richtung Halle, ganz ruhig, da kommen schon die ersten Mädchen raus und begrüßen aufgeregt ihre wartenden Eltern. »Das war so toll!« Ich werde schneller und schließlich laufe ich. Immer schneller, wieder durch den Dschungel von Mädchen, die Tokio-Hotel-Lieder singen, die ihre Schilder umherschwenken, sich umarmen und lachen und weinen. Und ich renne gegen den Strom, wieder rein in die Halle, den Rundgang an den geschlossenen Buden vorbei in Richtung Bühneneingang. Johannes hat seit vorgestern eine Freundin. Ja, welche denn? Warum denn? Er ist ziemlich in sie verliebt. Ich dachte, er liebt mich. Wo ist er jetzt? Sitzt er wartend im Auto und denkt, ich komme zurück? Ist er losgefahren, zu seiner neuen Freundin, in die er ziemlich verliebt ist? Ist er ausgestiegen und sucht nach mir? Wird er mich vermissen, auch wenn er ein anderes
Mädchen liebt? Oder liebt er die andere schon viel mehr als mich?
Am Eingang zum Backstagebereich steht ein großer, bulliger Typ mit freundlichem Gesicht. Ich grüße tapfer und zeige ihm meinen Backstageausweis.
Er winkt mich durch und sagt: »Viel Spaß!«
»Danke.«
Ich laufe den schmalen, schwarz angestrichenen Flur entlang, aus den Toiletten kommen Typen, die sich ihren Hosenstall zuziehen, und ich mache einen Schritt zur Seite und lasse sie durch. In den anderen Räumen hängen Leute auf Sofas rum und rauchen Zigaretten und trinken Bier oder Cola. Sie tragen Turnschuhe und sehen müde aus. Aber sie lachen und reden alle durcheinander. Ich gehe weiter, weil Alina ja hier irgendwo sein muss. Und dann komme ich an einem Garderobenraum vorbei, wo die ganze Tokio-Hotel-Band auf den Kanten der Schminktische sitzt, im Rücken die erleuchteten Schminkspiegel.
Alina steht wie ein Klon von Bill in der Mitte des Raumes und sagt mit fester Stimme: »Okay, ich finde, ihr solltet mal einen Song über häusliche Gewalt machen, also veraltete Erziehungsmethoden, also, wo zum Beispiel die Mutter ihrer Tochter immer Ohrfeigen haut, weil sie sich ihr Haar stylt wie ihre Vorbilder, also, wie ich jetzt zum Beispiel nach eurem Vorbild …«
Die Jungs von Tokio Hotel nicken, wobei Bills Haare ordentlich wippen. Er verschränkt seine langen, dünnen Arme vor seiner schmalen Brust und meint: »Keine schlechte Idee.«
Alina hebt ihre Hände wie eine Predigerin. »Das Problem
an so einer Sache ist ja, dass Kinder bedingungslos lieben. Das heißt, auch wenn sie von ihren Eltern geohrfeigt werden, hängen die Kinder an ihnen. Sie ziehen vielleicht für ein paar Monate zu ihrer besten Freundin, wie ich zum Beispiel, aber irgendwann wollen diese Kinder und Mädchen auch wieder nach Hause zu ihren Eltern, weil das ja ihr Zuhause ist und weil sie …«
Und in dem Moment fängt Alina derart an zu weinen, dass die Jungs auf sie zustürmen, und dabei kippt eine offene 1-Liter-Colaflasche um. Alle Jungs legen ihre Arme um Alina, um ihr ein Gefühl von Geborgenheit zu geben. Trotzdem scheinen sie irgendwie verunsichert zu sein. Sie gucken sich fragend an und wissen nicht so recht, was los ist.
Ich gönne Alina den intimen Moment mit den Jungs. Von ganzem Herzen. Sie steht in ihrer Mitte und wird von ihnen gehalten. Ist das nicht toll? Ich mache einen Schritt zurück in den Flur und rufe Papa an, dass wir demnächst so weit wären, abgeholt zu werden. Ich muss mich dringend mal entspannen.
14
Okay, Leute. Johannes hat eine neue Freundin. Alina residiert über das Wochenende mit den Jungs von Tokio Hotel in irgendeinem Luxushotel in Lissabon und da schreiben sie gemeinsam ein paar Songtexte für die nächsten Nummer-eins-Hits. Ich meine, wir erinnern uns, dass Alina das Mädchen ist, das keinen geraden Satz herausbringt und Mamas Hilfe brauchte, um ihren Deutschaufsatz irgendwie fertig zu kriegen. Und jetzt schreibt sie Songtexte für Tokio Hotel. Das ist ungefähr so, als würde ich einem weltbekannten Physiker helfen, endlich die Formel fürs ewige Leben zu finden. Total aussichtslos. Aber ich gönne Alina ihr lang ersehntes Glück. Sie hat es sich wirklich verdient. Und ich meine, es kann
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