Leute, die Liebe schockt
Umwelt gegenüber.«
Wobei wir wieder bei Alina und ihren hochgesprayten Haaren wären. Als hätte ihr jemand einen Wink gegeben, klopft sie an, und meine Tür geht auf. Da steht der gestylte Waldschrat. Fertig zum Abflug.
»Wollen wir los?«
13
Gut, dass Mama mir Ohropax mitgegeben hat. Ich stehe mit Alina in einem wogenden Haufen kreischender Mädchen, die nach Deo duften. Vor uns auf der Bühne hampeln die Jungs von Tokio Hotel rum und geben alles. Die springen hin und her und biegen sich vor und zurück und die Bässe wummern um uns herum. Das ist vielleicht eine Stimmung hier! Über unsere Köpfe flitzen die bunten Lichter der Scheinwerfer hin und her, dass einem von diesem Rumgewirbel schon ordentlich schwummerig werden könnte. Um uns herum ein hüpfendes und zappelndes Meer von Mädchen mit feuchten Augen und aufgerissenen Mündern, sie halten riesige Pappschilder hoch, auf denen Offenbarungen stehen wie: »Bill I love you«.
Ich würde sterben, wenn mich jemand zwingen würde, so ein Schild, für alle gut lesbar, in die Luft zu halten. Ich meine, hier sind gut und gerne 8.000 Leute im Saal. Auch Alina würde sich nie zu so einer Aktion herablassen. Sie steht cool neben mir, mit den Händen in den engen Hosentaschen ihrer Skinny-Jeans, und glotzt mit weit aufgerissenen Augen nach vorne. Ich kann deutlich spüren, dass ihr Herz gleich vor Liebe und Begeisterung zerspringt. Ihr Zustand ist wahrscheinlich dem des ersten Mannes auf dem Mond ähnlich. Vollkommene Überwältigung.
Und da frage ich mich, wie blöd es sich für Alina anfühlen muss, jemanden zu lieben, den man nie erreichen wird. Zwar steht dieser krasse Bill da vorne mit seinem wehenden Haar auf der Bühne, gar nicht weit von uns, aber dennoch wird er nie von Alinas Existenz erfahren. Vielleicht wird er später, nach der großen Show, im Backstagebereich einen kurzen Blick auf sie werfen, aber er wird nicht mal ihren Namen erfahren. Und wenn doch, dann wird er ihn gleich wieder vergessen. Er wird nie etwas über Alinas Privatleben wissen, wie es ihr geht, was sie bewegt, was für ein Scheiß-Elternhaus sie hat, dass sie dauernd Backpfeifen wegen nichts bekommt. Sie wird sich nie mit ihm über ihr Innerstes austauschen. Das ist hart. Ich meine, Alina liebt Bill wirklich. »Mehr als mein Leben«, hat sie auf der Fahrt hierher mit ziemlicher Überzeugung in der Stimme gesagt.
Papa hat mit hochgezogenen Augenbrauen in den Rückspiegel geguckt und gemeint: »Warum suchst du dir nicht einen netten Jungen, mit dem du dich wirklich treffen kannst?«
Da hat Alina traurig aus dem Fenster geguckt. Wir fuhren gerade an der Kläranlage vorbei, und sie hat gemeint: »Weil keiner mit Bill mithalten kann. Der ist etwas ganz Besonderes. Der ist der Messias.«
Papa hat den Blinker angeklickt und gemurmelt: »Der Messias. Na, dann viel Spaß.«
Er hat uns auf dem Parkplatz rausgelassen, wo zeitgleich noch ganz viele andere Mädchen von ihren Eltern aus dem Wagen gelassen wurden. Alina und ich haben die Autotüren zugeschmissen und in dem Moment hat es über uns angefangen zu blitzen. Der Himmel hat sich
düster und unheimlich zusammengezogen, so als wollte er uns ersticken, und dann prasselten die ersten harten, dicken und kalten Regentropfen auf uns herunter. Auf die Arme, in den Nacken, auf unsere Stirn und Nasen. Ich habe mir ziemliche Sorgen um Alinas Haarpracht gemacht. Ich dachte, dass sie hervorragend als Blitzableiter funktionieren könnte. Aber Alina hat eher befürchtet, dass sie wegen der enormen Luftfeuchtigkeit in sich zusammenfallen würde. Wir haben uns unsere Jacken über die Köpfe gezogen und sind mit den anderen kreischenden und kichernden Mädchen in Richtung Eingang gerannt.
Im niederprasselnden Regen haben wir dann geduldig gewartet, bis wir endlich an der Reihe waren, in die trockene Halle zu kommen. Dabei habe ich die ganze Zeit Mamas Stimme im Ohr gehabt: »Kinder, ihr kriegt von diesem Wetter eine Nierenbeckenentzündung.« Von geschulten Frauen in orange leuchtenden Jacken wurden wir dann endlich, als wir schon total durchnässt waren, am ganzen Körper abgetastet, falls wir Waffen oder Kameras dabeihaben sollten. Ich muss sagen, ich kam mir ziemlich verwegen vor, so als hätte ich tatsächlich etwas dabei. Kurz musste ich mir vorstellen, was für eine abgebrühte Type ich sein würde, hätte ich eine Waffe dabei. Eine aus der Street-Gang? Eine, die immer eine Waffe dabeihat? Eine, die den anderen Angst einjagen will? Ich bin zu
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