Leute, ich fuehle mich leicht
dunkelblauen Kostüm um die nächste Häuserecke biegen will, dreht er sich mit suchendem Blick um und bleibt, ich muss es leider so sagen, mit wenig begeistertem Gesichtsausdruck stehen.
»Elisabeth? Was machst du denn hier?«
Müssen wir das vor der Frau erörtern? Na gut, warum eigentlich nicht?
»Ich war bei der Therapie. Und du?«
Papa läuft rot an und schluckt. Leute, ich befürchte, ich habe meinen Vater gerade auf frischer Tat ertappt. Ich würde darum bitten, dass diejenigen von euch vortreten, die mit so einer Situation bereits Erfahrung haben und mir ein paar hilfreiche Tipps geben können. Vermutlich hätte ich mich einfach nicht bemerkbar machen sollen.
Endlich macht Papa eine linkische Bewegung mit der Hand in Richtung seiner ziemlich gut aussehenden Begleitung. »Das ist Frau Doktor Rosenbaum.«
Ich strecke ihr die Hand hin, ganz automatisch, weil ich das so von meinen Eltern beigebracht bekommen habe. »Guten Tag.«
Sie lächelt und ihr ganzes Gesicht ist voller Sommersprossen. Um den Hals trägt sie eine feine goldene Kette. Ihre Zähne sind allerdings etwas zu groß geraten - vermutlich ist sie schwedischer Abstammung. Die Leute von da oben haben ja alle relativ große Zähne, das weiß ich von unseren vielen Urlauben dort und von den Pippi-Langstrumpf-Filmen. Ich sage:
»Ich bin Elisabeth.«
Frau Rosenbaum lächelt weiter, eben wie eine »Professionelle«, und meint dann: »Gerade habe ich mit deinem Vater über dich und deine Schwester geredet.«
»Aha?«
Ich gucke rüber zu Papa, in der Hoffnung, dass er mir endlich verrät, was hier läuft. Doch der schluckt nur hektisch rum und reibt sich mit beiden Händen über das Gesicht. Dann endlich quetscht er hervor: »Frau Doktor Rosenbaum ist eine Klientin von mir. Sie arbeitet als plastische Chirurgin.«
»Aha.«
Ich nicke behämmert rum und versuche, eins und eins zusammenzuzählen, um des Rätsels Lösung näher zu kommen. Aber es gelingt mir nicht. Ich habe noch immer keinen Schimmer, warum Papa mit der Dame hier um die Hecken streunt und mit ihr über meine Schwester und mich palavert. Soll sie unsere Stiefmutter werden, oder was? Heutzutage muss man ja mit allem rechnen!
Papa wippt jetzt auf seinen Fußballen rauf und wieder runter, und das ist das sichere Zeichen, dass er anfängt, sich zu entspannen. Er klatscht die Hände zusammen und meint plötzlich, mit so einem Leuchten in den Augen: »Ich dachte, ich informiere mich einfach mal unverbindlich bei Frau Rosenbaum, was so eine Brustvergrößerung kosten würde und welche Risiken sie birgt, damit Constanze und ich heute Abend eine Pro-und-kontra-Liste erstellen können. Wir sollten nicht länger im Trüben fischen, sondern über Fakten diskutieren.«
Ich nicke noch ein bisschen weiter, und Frau Rosenbaum lächelt nun noch breiter und sagt: »Du hast wirklich einen tollen Papa.«
Ich hole tief Luft, weil ich gerade nicht mehr weiß, was ich sagen, geschweige denn denken soll, und presse mit letzter Kraft hervor: »Ich muss los!«
»Okay.«
Frau Rosenbaum hört auf zu lächeln und guckt etwas verlegen hinüber zu meinem »tollen Papa«. Schnell gebe ich ihm einen Kuss auf die Wange, reiche der Frau Doktor die Hand und renne los, immer die Straße runter, Richtung Straßenbahnhaltestelle. Nur weg hier. Richtung Vernunft.
5
Z um Glück ist es schon so spät, dass ich nicht noch mal nach Hause fahren muss, bevor es heute Abend mit dem »Frühlingserwachen« losgeht. Gerade wäre es mir etwas unheimlich, mich in der Siedlung frei zu bewegen, seitdem ich weiß, wie die Leute über Cotsch reden.
»Deine Schwester ist eine Nutte!« Wenn unsere Nachbarn schon derart abfällig von ihr denken, muss ich vom Schlimmsten ausgehen, was über mich gemunkelt wird. Nicht auszudenken, was passiert, wenn Cotsch auch noch eine Brustvergrößerung von Papa spendiert bekommt. Hinterher wollen die Siedlungsfrauen an meiner Schwester und mir Meuchelmorde verüben, weil sie Panik haben, dass wir ihnen die Männer ausspannen. Über so einen Fall habe ich mal einen Film gesehen, der uns im Deutschunterricht vorgeführt wurde: Cyrano de Bergerac. Das ist der Typ mit der angeklebten Nase. Plötzlich springt ihm so ein Freak in den Rücken und zieht ihm einen Holzbalken über den Schädel. Danach ist Cyrano nicht mehr derselbe. Und das Ganze passiert nur, soweit ich mich erinnere, weil Cyrano zeitlebens ein unbezähmbarer Geist war. Genau wie ich - und Cotsch. Ich habe es ja schon immer geahnt: Meine
Weitere Kostenlose Bücher