Leute, ich fuehle mich leicht
mir jetzt gut. Dann wäre meine Todespanik gleich wieder besänftigt.
Wir latschen nebeneinander den Gang hinunter bis zur Treppe und François stupst mich mit seinem Ellenbogen an: »Ey, und du heißt echt Elisabeth?«
Ich sage: »Ja. Aber du kannst Lelle zu mir sagen.«
»Nö, ich nenne dich lieber Elisabeth. Oder Elsbeth.«
»Wenn du willst.«
Unsere Sohlen quietschen über den grauen Linoleumbelag. Gleich frage ich ihn, ob er was zu essen dabeihat. Als wir am Treppenabsatz ankommen, will ich aber erst mal wissen: »Und wie heißt du richtig?«
»Johannes.«
»Gehst du hier auf die Schule?«
»Ja, seit Neuestem.«
»Wo warst du denn vorher?«
»Auf einer anderen Schule.«
Das habe ich mir beinahe gedacht. Der Typ schlackst neben mir herum und plötzlich versucht er, fünf Stufen auf einmal zu nehmen. Keine Ahnung, was das werden soll, besonders weil er dabei ins Straucheln gerät und kopfüber auf den nächsten Treppenabsatz stürzt.
In letzter Sekunde kann er sich noch am Geländer festklammern und ruft: »Uppsala.«
Ich möchte darüber nicht lachen. Weil ich dieses Gehopse echt kindisch finde. Also grinse ich nur, um ihm ein gutes Gefühl zu geben. Das ist wichtig, wenn man sich näherkommen will. Ich meine, ich finde ihn wirklich nicht ganz uninteressant. Besonders als er mir sagt, dass er schon zweimal sitzen geblieben ist und in einer Band Keyboard spielt. Eigentlich denke ich sogar: Er ist genau mein Typ. Er hat so etwas »Künstlerisches«, würde Mama sagen. Ich glaube, Johannes wäre trotzdem nicht ihr Typ. Komischerweise ist mir das aber irgendwie wichtig. Sowieso frage ich mich bei allem, was ich tue, wie Mama das finden würde. Dabei habe ich immer ihre Stimme im Ohr, die sagt: »Ach, Kinder. Das muss doch nicht sein.« Mama wäre es wahrscheinlich das Liebste, wenn ich so lange wie möglich die Finger von Jungs lasse. Sie hat Sorge, dass die mich unterdrücken könnten oder ich schwanger werde. Ich weiß nicht, woher Mama das immer hat. Sie sagt: »Das liegt in der Natur der Männer, sich die Frau zum Untertan zu machen.« - »Darum macht sie mit Rita rum«, meint Cotsch. Ich glaube einfach, Mama lebt in längst vergangenen Zeiten, die nichts mehr mit unserer Gegenwart zu tun haben. Stichwort: Feindbild Mann. Mama meint: »Solange die Angelegenheit mit der Mutterschaft noch nicht geklärt ist, wird die Frau unfrei sein.«
Unter uns: Das sind echt beschissene Aussichten. Vielleicht habe ich ja aber auch Glück und finde einen Typen, mit dem alles ganz anders ist - mit dem ich die Vision von Gleichberechtigung leben kann. Ich meine, vorstellbar wäre es, oder nicht? Und alles, was vorstellbar ist, ist doch auch irgendwie lebbar. Jedenfalls vermute ich das.
Ich werde das später mal mit Johannes diskutieren. Vorher frage ich aber: »Hast du zufällig ein Brot in der Tasche?«
»Was?«
»Ich habe Hunger.«
Wir kommen unten im Erdgeschoss an. Mein Begleiter stößt die schwere Tür nach draußen auf.
»Dann sollten wir dir was zum Beißen besorgen.«
Über uns rauschen die dunklen Baumkronen in der Abendbrise, darüber hängt der dunkelblaue Himmel und die letzten Amseln keckern. Wir bleiben kurz stehen, atmen tief den Keksgeruch ein. Und ich merke, dass ich wirklich dringend etwas essen muss. Hauptsache, ich kollabiere nicht. Bitte! Nur das nicht! Mein Magen soll auch nicht knurren. Das wäre mir so etwas von unangenehm. Am besten, wir gehen irgendwohin, wo es laut ist.
6
J ohannes und ich spazieren quer über den sandigen Spielplatz, unter den Bäumen hindurch, Richtung Bierkaschemme. Johannes hält mir die Tür auf und ich marschiere unter seinem Arm hindurch. Gleich schlägt uns astreiner Frittierfettgestank entgegen. Das hat was. Die Tische sind mit Leuten besetzt, die ungefähr doppelt bis dreifach so alt sind wie wir. Wir quetschen uns zwischen einer Traube von Karohemdenmännern und Dauerwellenfrauen hindurch bis zur Bar. Es ist furchtbar laut, sodass ich nicht einmal mehr denken kann. Dabei wollte ich Johannes eigentlich gleich fragen, was seine Eltern beruflich machen. Mama meint, das sollte immer als Erstes abgeklärt werden. »Schnappt euch nie einen Jungen, dessen Mutter Hausfrau ist.« Ich glaube, das war der erste Satz, den Mama mir eingetrichtert hat, als ich als hilfloses Baby in ihren Armen lag.
Ich schiebe mich auf einen der Barhocker und Johannes holt sein Softpack Zigaretten aus der Jeans und hält es mir hin. Ich fummle mir eine Zigarette raus: »Merci
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