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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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die ganze Zeit auf dich. Wir haben dir vorne bei uns ein Plätzchen frei gehalten!«
    Tessis Mutter wird von den hereinströmenden Zuschauern von allen Seiten angerempelt. Sie torkelt ein wenig hin und her, es scheint ihr nichts auszumachen. Dafür sieht sie relativ mitgenommen aus. Rote, verruchte Lippen, rosa angemalte Wangen und verschmierter Mascara unter den Augen. Dazu ein pinkfarbenes Samtkleid mit goldener Stickerei auf der Brust, die sich bis nach hinten über die Schulter ausbreitet. Leute, das Kleid würde ich nicht mal zu Fasching anziehen.
    Ich lasse mir nichts anmerken und sage: »Hallo, äh, das ist nett, aber ich bin nicht allein hier. Also, ich habe einen französischen Austauschschüler aus unserer Klasse mit dabei und der wartet hinten. Er kommt aus Frankreich.«
    »Na, dann setzt euch doch beide zu uns nach vorne! Wir rutschen einfach ein bisschen zusammen.«
    »Äh, das geht nicht. Er ist ziemlich schüchtern. Außerdem hat er Hautausschlag.«
    Tessis Mutter nickt enttäuscht. »Ach, schade. Na ja, vielleicht sehen wir uns in der Pause. Dann trinken wir ein Bierchen zusammen.«
    »Bestimmt.«
    »Oder zwei.«
    »Okay.«
    Ich lächle noch mal richtig und dann verpisse ich mich zu meinem imaginären Austauschschüler aus Frankreich mit dem schlimmen Hautausschlag. »Dann trinken wir ein Bierchen zusammen.« Tessis Mutter tickt ja nicht mehr ganz richtig. Ich muss es leider so sehen. Leute! Ich bin fünfzehn. Das ist Verführung Minderjähriger. Wie auch immer. Ich setze mich auf meinen Platz, lege mir die Jacke über die Knie, und bevor ich überhaupt wieder einen einigermaßen klaren Gedanken fassen kann, registriere ich neben mir diesen künstlerisch angehauchten Typen. Er ist genau mein Fall: hellrote Haare, die irgendwie nach allen Seiten abstehen. Mit seiner Hand klopft er rhythmisch auf seinem Knie herum und grinst mich an. Ich grinse zurück und am liebsten würde ich sofort meine Hand auf seinen Oberschenkel legen und hauchen: »Ich liebe dich!« So sympathisch ist er mir. Ich grinse: »Hi, na!«
    Dann geht das Licht im Saal aus und vorne öffnet sich der dunkelgrüne Vorhang vor der Bühne. Ich sehe nur noch Köpfe. Scheiße, die Leute vor mir sind viel größer als ich. Ich höre theatralische Stimmen - sonst nichts. Dann ein Pfiff. Womöglich ist Tessi gerade auf die Bühne gekommen und zeigt, was sie körperlich zu bieten hat. Ich sehe echt gar nichts. Also erhebe ich mich ganz vorsichtig ein paar Zentimeter von meinem Platz, nicht dass die Zuschauer hinter mir aggressiv werden und anfangen, auf mir rumzuhacken. Damit könnte ich gar nicht umgehen. Mein Ziel im Leben ist: alles richtig zu machen. Jetzt erspähe ich auf der hell erleuchteten Bühne ein paar von den Jungs in ihren tannengrünen Anzügen. Sie lehnen an so einem selbst gebastelten Haufen aus Kunstrasen und erzählen irgendwas. Der eine kaut auf dem Stängel einer Plastikblume herum und macht einen auf »belesener Jüngling«. Mehr gibt es nicht zu erspähen. Ich setzte mich wieder hin, schließe die Augen, um das malerische Bühnenbild einfach in die Innenseite meiner
    Augendeckel zu projizieren. Auf diese Weise sehe ich es weiterhin vor mir, ohne schwarze Kopfumrisse. Gerade als ich versuche, mich so richtig auf das Geschehen in meinen Augendeckeln zu konzentrieren, berührt mich etwas am Knie. Schnell mache ich die Augen wieder auf.
    Der Junge neben mir grinst mich im Halbdunkeln an und flüstert: »Siehst du auch so wenig?«
    Ich nicke, weil ich von meinen Eltern gelernt habe, im Theater besser nicht zu sprechen. Da ich aber das Gespräch dennoch am Laufen halten will, sage ich leise: »Du musst dir das Geschehen da vorne einfach genau ansehen, indem du kurz aufstehst. Dann einprägen und anschließend schnell die Augen zumachen. Auf diese Weise hast du einen tollen Ausblick.«
    Der Typ mit der irren Frisur kommt näher. Er hat sofort geschnallt, was ich meine. Offenbar hat er einen Sinn für das Unkonventionelle - wie mein Kunstlehrer sagen würde.
    »Echt?«
    Ich nicke und grinse. Wie auf Kommando erheben wir uns beide ein kleines bisschen von unseren Sitzen und glotzen angestrengt nach vorne. Als wir das ganze Panorama in uns aufgenommen haben, setzen wir uns wieder hin und klappen die Augen zu. Das wirkt! Ich sehe diesen grünen Kunstrasenhügel genau vor mir, nur leider rekelt sich anstatt der Jünglinge meine Schwester in Push-up-BH und schwarzer Augenmaske darauf herum. Sie winkt mir zu und ruft: »Du hast doch

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