Leute, ich fuehle mich leicht
zehn!«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich weiß, es ist zum Kotzen.«
»Bitte! Red nicht davon!«
»Entschuldige!«
»Schon gut.«
Johannes bezahlt das Bier, und damit die Bardame am Ende nicht doch noch argwöhnisch wird, nimmt er die beiden Flaschen.
»Komm, wir gehen raus.«
Die frische Luft tut Johannes jetzt gut. Nur ich habe noch immer nichts gegessen. Vielleicht sollte ich mir ein paar Blätter vom Baum rupfen und kauen. So wie das sonst nur Koalabären machen. Das sind meine Lieblingstiere. Irgendwann will ich noch mal nach Australien gehen und sie vor dieser schlimmen Augenkrankheit retten, die zur Erblindung führt.
Auf dem gegenüberliegenden Spielplatz setzen Johannes und ich uns auf die Lehne von einer Bank und stellen unsere Füße auf die Sitzfläche. Normalerweise mache ich das nicht, weil ich ja auch immer an die Mütter denke, die sich am nächsten Tag daraufpflanzen, um ihren Kleinsten beim Spielen zuzusehen. Aber heute Nacht ist das in Ordnung. Schließlich hat Johannes gerade eine Zigarette gegessen und sich mehrfach übergeben. Im Übrigen ist es unter den Bäumen relativ dunkel, sodass ich getrost mein Bier trinken kann, ohne das Gefühl zu haben, gleich von der Sittenpolizei überführt zu werden. Euch kann ich es ja sagen: Es ist mein erstes Bier und es zündet ziemlich rein. Ich muss mich richtig zusammennehmen, um nicht einfach nach hinten ins Gebüsch zu kippen. Mein lieber Schwan, so schwindlig war mir schon seit heute Nachmittag nicht mehr. Ich darf nicht vergessen zu atmen. Ich schließe die Augen und über meine Wange huscht ein warmer Hauch. Ich schwanke vor und zurück, ich klemme die Bierflasche fest zwischen meine Knie und fummle mit den Fingern an dem Etikett herum. Ich habe echt das Gefühl, die Welt dreht sich zehnmal so schnell.
Plötzlich streicht eine Hand über meinen Nacken, ganz sacht, und Johannes flüstert in mein Ohr: »Bier ist echt eine gute Sache.«
»Absolut!«
»Und du bist sehr süß!«
Ich mache die Augen auf und Johannes’ Gesicht ist ganz nah und er blinzelt mit seinen langen Wimpern in meine Richtung.
»Danke, du auch.«
Ich blinzle zurück und dann kippe ich nach hinten von der Bank und direkt ins Gebüsch. Als ich fertig bin mit Ohnmächtigsein und wieder aufwache, kniet Johannes neben mir in den Zweigen und von weit her höre ich eine altbekannte Stimme.
»Mein Gott, was ist passiert?«
»Ich weiß nicht.«
Johannes fummelt mir so ein bisschen nervös in den Haaren herum, als hätte er noch nie ein Ohnmachtsopfer betreut. Zum Glück ist Mama ja bereits zur Stelle, um die weitere Abwicklung des Falls zu übernehmen:
»Das musste ja so kommen!«
Ich höre, wie Mama sich ihren Mantel auszieht und ihn auf die Bank wirft. Mir ist die Angelegenheit so was von unangenehm. Vor allen Dingen prüfe ich erst einmal, ob noch alles trocken ist. Wer sich mit plötzlichem Kollabieren auskennt, weiß, dass man sich dabei ab und zu in die Hose puschert. Zum Glück macht alles einen adäquaten Eindruck. Ich bewege mich ein wenig, zum Zeichen, dass ich wieder voll da bin. Ich will nur noch aufstehen und die Sache überspielen, so gut es geht. Für meinen Geschmack hätte Mama gerne ein paar Minuten später eintreffen können, anstatt hier ihr Eins-a-Katastrophenszenario abzureißen. In der Disziplin ist Mama ganz groß in Form. Sie kämpft sich an der Bank vorbei, ins Gebüsch, bis sie zwischen Johannes und mir zum Knien kommt. Cotsch macht es ihr gleich und plötzlich hängen wir alle in den dichten Zweigen. Es knickt und raschelt und pikt und bricht. Mama beugt sich zu mir runter und meldet: »Ich hab’s gewusst. Ich hab’s gewusst.«
Kein Wunder! Meine Mutter weiß nämlich immer schon alles von vornherein. Das ist aber auch kein Kunststück, weil sie grundsätzlich immer vom Schlimmsten ausgeht. Seit ich denken kann, rechnet sie damit, dass Cotsch und mir etwas Schlimmes widerfahren wird. Eigentlich müsste Mama froh sein, dass wir überhaupt noch am Leben sind. Nach ihrer Zeitrechnung müssten wir nämlich schon längst vergewaltigt, ermordet, vergiftet, ertränkt, verbrannt - um es kurz zu sagen: gestorben sein. Na ja. Ich will ja nichts sagen, aber Mama kann einem mit ihrer Sorge manchmal den letzten Nerv rauben. Sie zerrt mich wie den ertrunkenen Königssohn aus unserem Volksliederbuch aus den Büschen und lehnt mich gegen die Bank. Da bleibe ich lässig stehen und lächle verwegen in die Runde. Cotsch, das sehe ich aus den Augenwinkeln,
Weitere Kostenlose Bücher