Leute, ich fuehle mich leicht
Vielleicht will er ihr ja bei der nächsten Steuerbesprechung auch noch Nacktfotos von seinen Töchtern zeigen, damit sie ihre ästhetischen Rückschlüsse ziehen und uns weiterhin Look-mäßig beraten kann. Würg! Um nicht in die TTV (total tiefste Verzweiflung) zu verfallen, taste ich schnell nach meinem Handy, das ich nachts immer unter mein Bett lege, falls mir jemand eine SMS schreibt oder dringend meine emotionale Unterstützung braucht. Mama will zwar nicht, dass ich das Handy im Schlafbereich lagere - wegen der Strahlung -, aber darauf kann ich nicht auch noch Rücksicht nehmen. Sowieso wäre es ihr am liebsten, wenn Cotsch und ich unsere Handys nachts raus in den Fahrradschuppen legen würden. Papa hält das allerdings für Quatsch. Er meint:
»Dann stell doch unser Radio und die Mikrowelle gleich dazu.«
Mama zuckt dazu nur mit den Schultern und informiert sich heimlich über spezielle Wandfarbe, die von außen kommende Strahlung abschirmt. Echt. Mama versucht immer, die Welt sicherer zu machen. Ich vermute nur, das ist ein hoffnungsloses Unterfangen.
Ich wähle Tessis Nummer an und drücke mir das Telefon ans Ohr. In der Leitung tutet es, dann höre ich es rascheln und Tessis atemlose Stimme ertönt: »Lelle? Wo warst du gestern? Ich habe dich überall gesucht.«
»Ich bin umgekippt. Und wo bist du?«
»Auf dem Weg zur Schule. Meine Mutter meinte, du wärst mit einem französischen Austauschschüler abgehauen.«
»Ehrlich gesagt: Es war ein Typ von deiner Schule. Ich bin nur kurz mit ihm raus und dann bin ich auch schon kollabiert.«
»Scheiße. Hast du dich verletzt?«
»Nein. Aber, kennst du Johannes? Diesen großen Rothaarigen, mit den paillettenbesetzten Chucks?«
»Klar. Jeder kennt Johannes.«
»Echt? Warum?«
»Weil alle Mädchen in den verliebt sind.«
»Mit dem bin ich raus. Er hat eine Zigarette gegessen.«
»Aha. Sag mal, hast du gestern noch mit Tobi geredet?«
»Nein. Glücklicherweise habe ich ihn nicht mal gesehen. Sonst hätte ich ihm so was von eine reingesemmelt. Der Typ hat ja wohl einen Totalschaden.«
»Ach, ich weiß nicht.«
»Ich hoffe, du hast ihn abserviert!«
»Nee. Nicht direkt.«
»Tessi, lass dich nicht verarschen. Der Penner hat dich nicht verdient. So viel ist mal klar.«
»Ich meine, irgendwie kann ich ihn ja auch verstehen. Er fühlte sich eben einsam.«
»Scheiße, Tessi. Warum fühlte er sich bitte einsam?«
»Na, als ich vorletzte Woche auf Klassenfahrt war.«
Ich fasse es nicht! Tessi will es offenbar nicht wahrhaben, dass Tobi eine treulose Pfeife ist. Da kann ich ihr leider auch nicht helfen. Und leider kann ich mir selbst genauso wenig helfen und sage: »Im Übrigen weiß ich, wer die Lady war, die ihm einen geblasen hat.«
»Was? Wer?«
»Ich sage es dir besser gleich, bevor du es von jemand anderem erfährst.«
»Was denn?«
»Scheiße, Tessi. Es war meine Schwester.«
»Die Kackstelze mit der Augenmaske?«
»Jep.«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Sie wusste nicht, dass du und Tobi...«
»Ja und jetzt? Will sie ihn heiraten oder was?«
»Eher nicht.«
»Warum nicht? Findet sie ihn scheiße, oder was?«
»Keine Ahnung. Frag dich eher, ob du ihn scheiße findest.«
»Ich liebe ihn. Okay?«
»Wie auch immer. Es ist ja dein Leben...«
»Lelle, ich muss jetzt auflegen. Wir sprechen uns später...«
»Okay, bis später. Tschüss.«
Tessi hat aufgelegt, bevor ich überhaupt »Tschüss« gesagt hatte. Jetzt ist die Freundschaft zwischen uns aus, ich weiß es. Sie wird es mir übel nehmen, dass ich ihr die Wahrheit gesagt habe. Warum kann ich nie den Mund halten? Weil ich immer ehrlich sein will. Scheiße! Ist es mein Problem, wenn Brille ein Arsch ist? Die Nummer soll mal einer mit mir probieren. Der Typ, der meint, mich betrügen zu müssen, der kann echt scheißen gehen. Leider habe ich jetzt in der Aufregung vergessen, Tessi zu sagen, dass sie mir Johannes’ Nummer besorgen soll. Kacke. Kacke. Kacke.
Ich wälze mich aus dem Bett und latsche rüber in Cotschs Zimmer, um mir ein paar CDs von ihr zu borgen. Ich muss mich emotional ablenken. Solange meine sexsüchtige Schwester in der Schule ist, kann sie ja nichts dagegenhaben. Außerdem schnüffle ich gerne in ihrem Zimmer herum. Unter ihrem Sofa hat sie zum Beispiel eine ganze Batterie von Slipeinlagen und Tampons liegen. Die habe ich da mal entdeckt, als ich nach meinem Hausschuh gesucht habe. Alle Mädchen sind in Johannes verliebt. Dann kann es ja nicht mehr lange dauern, bis meine
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