Leute, ich fuehle mich leicht
heute nicht mehr auf »Brille« treffe. Dem würde ich heimleuchten. Aber richtig. Tessi betrügen geht gar nicht. Ich drehe mich zu Johannes um, wie er im bläulichen Schein der Laterne in seinen rot blinkernden Pailletten-Chucks unter dem Klettergerüst hindurch verschwindet, und rufe: »Danke für alles, François!«
Augenblicklich hebt er noch mal die Hand und wirft sich die hellroten Haare nach hinten. »Keine Ursache, Elsbeth!«
Leute, ich muss echt sagen: Er ist genau mein Typ. Tiefgründig, philosophisch und poetisch. Nun hoffe ich nur noch, dass seine Mutter keine Hausfrau ist.
7
A m nächsten Morgen hält es Mama für sinnvoll, ohne anzuklopfen, in mein Zimmer zu stürmen und den Vorhang aufzureißen. Augenblicklich quetscht sich die Sonne durch das dichte Geäst der Felsenbirne zu uns herein und malt helle Kringel auf meinen Schreibtisch und den Teppichboden. Mit einem Ruck öffnet Mama auch noch das Fenster, sodass die Amseln vor Schreck fast vom Stängel fallen.
»Guten Morgen, Lelle. Du stehst jetzt auf und frühstückst mit uns!«
»Was?«
»Sofort.«
Meine Güte, ich bin noch gar nicht richtig wach und Mama ist schon in merkwürdig strenger Stimmung. Das ist ja ganz was Neues. So kenne ich sie gar nicht. Sonst verkörpert Mama doch eher die milde, nachsichtige Elfe.
»Los! Aufstehen!«
»Warum?«
»Weil ich will, dass du jetzt etwas isst. Und zwar in meiner Gegenwart.«
»Auf gar keinen Fall.«
In mir klumpt sich alles zusammen. Niemand kann mich zwingen. Ich lasse mich nicht zwingen. Ich bestimme mich selbst. Unter der Decke liegen meine knochigen Knie übereinander und das tut weh. Schnell klemme ich die weiche Decke dazwischen und fühle mit den Händen, wie meine Hüftknochen hervorstehen. Hart und fremd. Das bin ich. Wie weit werde ich es mit dem Abmagern treiben können, frage ich mich.
Mama fummelt gedankenverloren an einer halb fertigen Skulptur herum, die noch auf meiner Fensterbank zum Austrocknen liegt. Sie nickt hektisch mit ihrem Kopf rum und meint: »Na gut. Ich glaube, es ist besser, wenn du heute nicht in die Schule gehst.«
»Warum?«
»Weil du gestern schon wieder umgekippt bist. Lelle, das geht so nicht. Du stirbst, wenn du nicht endlich etwas isst.«
»Ja-ha.« Ich will davon nichts hören. Ich weiß es ja nun langsam selber. Außerdem möchte ich gar nicht darüber nachdenken. Ich will es wegschieben, weil mir das Thema Angst macht.
Mama legt die Skulptur wieder hin und fragt mit bebender Stimme: »Oder willst du sterben?«
»Nein.«
»Dann steh jetzt auf und komm zum Frühstück.«
»Gleich.«
In meinem Hals wird der Klumpen immer größer, Tränen schießen mir in die Augen. Ich löse mich auf, ich zersplittere, ich fliege in tausend Richtungen auseinander.
Mama kommt näher und sagt: »Ich stelle dir eine kleine Schüssel mit Müsli hin. Das isst du dann. Und wehe, du schüttest es in den Abfall.«
»Okay.« Ins Klo kippen, geht ja auch.
Mama huscht aus dem Zimmer. Doch an der Tür dreht sie sich noch einmal um und meint: »Ich fände es sehr schade, wenn du zwangsernährt werden müsstest.«
Das fände ich auch. Ich bleibe also zu Hause, während Mama und Papa ins Büro fahren und Cotsch mit dem Rad in die Schule strampelt, wo sie die Jungs betört. Ich fasse es noch immer nicht, wie sie sich an Tobi ranmachen konnte. Hat der ihr nicht gesteckt, dass er eine Freundin hat? Vermutlich nicht! Was für ein Vollidiot! Ich weiß nur nicht, ob ich Tessi von meinen Nachforschungen berichten sollte oder besser nicht. Hinterher will sie nicht mehr mit mir befreundet sein! Außerdem mache ich mir ein bisschen Sorgen, wie ich wieder Kontakt zu Johannes bekommen kann. Mama meint immer: »Den Kontakt herzustellen, ist die Aufgabe des Mannes.« Dann hoffe ich nur, dass Johannes das auch so sieht. Wir haben ja nicht mal Telefonnummern ausgetauscht. Im Flur höre ich, wie meine Leute in den Tag aufbrechen.
Papa steckt noch einmal seinen Kopf zur Tür herein und meint: »Iss mal was.«
Ich hebe die Hand und sage mit meinem speziellen Papa-Grinsen: »Mache ich.«
»Frau Doktor Rosenbaum meint, dass es jetzt sowieso Trend sei, als Frau ein bisschen fülliger zu sein.«
»Aha.«
Dann geht die Tür wieder zu, vorne fällt die Haustür ins Schloss und mit einem Mal ist es ganz still um mich herum. Schön, dass Papa mit Frau Rosenbaum nicht nur über Cotschs neue Brüste, sondern gleich noch über meine Figur gesprochen hat. Das gibt mir ein richtig gutes Gefühl.
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