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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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wünschte, ich wäre nicht allein bei der Mission! Gerade als ich um die nächste Häuserecke biege, ist es, als hätte Gott mich erhört. Meine Schwester Cotsch brettert mir mit ihrem Rad entgegen und voll in mich rein.
    »Aua!«
    »Scheiße, Lelle! Was drückst du dich auch so eng an den Häuserwänden entlang!«
    Leute! Ich glaube, eine meiner Rippen ist gebrochen. Ich kann gerade gar nicht mehr atmen. Am besten, ich strecke die Arme in die Luft. Möglicherweise hilft das was. Ich kriege keine Luft mehr! Scheiße! Meine Schwester scheint das wenig zu kratzen. Die hebt ihr Rad wieder auf und stiert mich böse an. Das ist typisch für sie. Immer tut sie so, als seien die anderen schuld. Sie wirft ihre blonden Locken nach hinten, und jetzt sehe ich, dass sie eines meiner Secondhandhemden aus der Dreckwäsche gezogen und vorne am Bauch geknotet hat. Dazu trägt sie Jeans-Hotpants und Badelatschen. Wenn ihre Lehrer in ihrer Gegenwart noch unterrichten können, ziehe ich echt meinen Hut. Chapeau. Als ich einigermaßen wieder mit Sauerstoff versorgt bin, keuche ich: »Du hast mein Hemd an.«
    »Na und? Was dagegen?«
    »Allerdings. Zieh es sofort aus!«
    »Hier auf dem Weg, oder was?«
    »Naturellement!«
    »Kauf dir ein neues! Ich behalte das.«
    »Arsch-Tussi!«
    Das ist normalerweise nicht meine Ausdrucksweise, aber im Moment bin ich etwas angespannt. Wie gesagt: Eigentlich bin ich gerade auf einer lebensrettenden Mission unterwegs. Stichwort: selbstmordgefährdete Rita.
    »Was hast du gesagt?«
    Meine Schwester senkt gefährlich ihren Kopf ab und kommt auf mich zu. Bevor sie mir schon wieder aus Rache eine reinsemmelt, sage ich schnell:
    »Ich befürchte, Rita bringt sich gerade um.«
    Meine Schwester lässt ihre Hand wieder sinken.
    Ich sage: »Und sollte sie es tatsächlich so weit bringen, kannst du dich jetzt schon auf ein Leben mit deinen beiden Freundinnen Alice und Susanna einstellen.«
    »Was? Wieso das denn?«
    »Wahrscheinlich wirst du dir dann sogar mit deiner Oberfreundin Susanna das Zimmer teilen müssen.«
    Meine Schwester umklammert den Lenker ihres Fahrrades so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß werden. Sie macht den Mund auf, aber sie kriegt keinen Ton mehr raus. So geschockt ist sie. Dann, nachdem sie sich innerlich wieder koordiniert hat, will sie wissen: »Woher weißt du das?«
    »Aus dem Abschiedsbrief, den die dicke Rita an Mama geschickt hat.«
    »Hast du ihn gelesen, oder was?«
    »Logo.«
    »Eben, oder was?«
    »Jep.«
    »Dann lebt sie womöglich noch.«
    »Das will ich hoffen.«
    Meine Schwester reißt ihr Rad herum, als wäre es ein Pferd, schwingt sich darauf und düst in Richtung Weidemanns Haus. Ich hechle hinterher - zum Glück trage ich meine Chucks. Damit kann man hervorragend sprinten.
    Vor der Haustür klappt meine Schwester hektisch den Ständer von ihrem Rad runter und meint: »Und jetzt? Sollen wir klingeln?«
    »Ich weiß nicht. Hinterher ist Rita gar nicht tot. Dann müssen wir am Ende noch Konversation mit ihr betreiben.«
    Meine Schwester nickt und zum ersten Mal in unserem Leben sind wir einer Meinung. Sie macht so ein Indianerzeichen, dass wir uns in die Büsche schlagen und die Lage auskundschaften sollen. Unpraktischerweise ist der Oleander im Vorgarten besonders hochgeschossen und blüht in gelben Blüten, aus denen Bienen summend und surrend ihre täglichen Pollen schlürfen, sodass wir gar nicht ins Innere des Hauses blicken können. Cotsch und ich müssen näher ran. Am besten, wir heben die Briefklappe in der dunkelblau lackierten Haustür an und spähen den dämmrigen Flur hinunter. Bis ins Wohnzimmer können wir sehen, wo die rostroten Sofas stehen. Dahinter der sattgrüne Garten. Sofort riechen wir den typischen Rita-Geruch nach Duschgel. Wir halten uns die Nasen zu und lauschen. Nichts bewegt sich. Da bin ich aber froh. Schlimmer wäre es gewesen, wir hätten die dicke Rita leblos am Boden liegen sehen. Dann hätten wir knallhart durchs Fenster einsteigen und Mund-zu-Mund-Beatmung machen müssen. Mir fällt direkt ein Stein vom Herzen, wobei ich warnen muss: Der Einsatz ist noch nicht abgeblasen. Die Spezialeinheit muss jetzt noch einmal ums Haus herummarschieren, über die Gartentür klettern und drinnen nach dem Rechten sehen. Wir wissen nicht, was uns erwartet. Psychologisch ist es vermutlich besser, sich auf das Schlimmste gefasst zu machen. Also: Schwabbel-Rita nackt in der gefüllten Badewanne mit aufgeschlitzten Pulsadern. Es wäre hilfreich, wenn das

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