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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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gefragt ist.
    Die Tür zu Alice’ Zimmer steht offen. Ihre Notentasche liegt mit aufgeklapptem Deckel auf ihrer hellblauen Sitzbank, daneben ihre ganze Range an Käthe-Kruse-Puppen und ihr langer Schreibtisch, den sie von ihrem Opa geerbt hat. Wie oft ich in jungen Jahren in diesem Zimmer gespielt habe! Sehr, sehr oft. Ich sehe uns ja noch auf dem Boden hocken, wie wir unseren Püppis die Zöpfe flechten. Ich hasse diese Scheiß-Puppen. Ich habe sie immer gehasst. Ich wollte lieber so einen blonden Frisurenkopf haben, den man schminken kann. Alina hatte natürlich so einen. Als ich neulich bei ihr zu Besuch war, haben wir den wieder vom Dachboden runtergeholt, damit ich nachträglich damit rummachen konnte. Das fand ich richtig nett von Alina. Sie wollte ihn mir sogar schenken. Und ich habe angenommen. Ich muss nicht sagen, wie Mama geguckt hat, als ich damit auf dem Gepäckträger nach Hause kam. Das Ding steht jetzt auf meinem Kleiderschrank und nimmt jeden ins Visier, der mein Zimmer betritt. Unter uns, Cotsch ist voll eifersüchtig darauf. Sie hat sich nämlich auch immer so einen gewünscht. Na ja. Vielleicht lasse ich sie bei Gelegenheit mal ran. Mama war immer gegen solche Plastiksachen. Die steht auf pädagogisch wertvolles Spielzeug. Alice geht es allerdings noch schlechter. Die darf sich nicht mal selber schminken, geschweige denn eine flippige Frisur schneiden lassen. Mama und Rita lieben es, so zu tun, als lebten wir in einem anderen Jahrhundert, in dem man noch per Eimer das Wasser aus dem Brunnen ziehen musste und in dem die Frauen noch ihre festen Aufgabengebiete hatten oder so.
    Wie auch immer. Ich schleiche weiter über den Flur bis zum Badezimmer. Leute, es ist so weit. Die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Stellt euch hinter mich, Männer. Entsichert eure Schießeisen. Jetzt sind stahlharte Nerven gefragt. Schrittchen für Schrittchen pirsche ich mich heran, strecke die Hand aus und tippe die Badezimmertür an. Sie schwingt langsam auf. Mein Blick fliegt durch den gekachelten Raum, hin zur Badewanne. Die ist leer. Das ist schon mal ein gutes Zeichen. Es sei denn, Rita hat sich selbst in Salzsäure aufgelöst und den Abfluss hinuntergespült. Kleiner Scherz. Dafür merke ich aber, dass ich vor lauter Anspannung dringend pischern muss. Das passt mir gar nicht. Aber es muss sein. Ich schließe die Tür ab und erledige das Notwendige. Dann ziehe ich meine Hose hurtig hoch und bin wieder voll in Aktion. Also, rüber in Ritas Chambre .
    Das ist ein Raum mit dickem Perserteppich und einem Sofa mit toller Flickenüberdecke. So eine hätte ich auch gerne. Die hat so etwas Hippieeskes. Vielleicht kann ich die ja haben, sollte Rita bereits den Löffel abgegeben haben. Die Jalousie ist halb heruntergelassen, an den Wänden hängen goldgerahmte Ölgemälde von nackten, ineinander verschlungenen Frauen. Hier also massieren sich Mama und Rita gegenseitig ihre erogenen Zonen. Jetzt höre ich etwas. Leute, seid mal leise! Es ist Mamas Stimme: »Ist doch gar nicht wahr.«
    Ist das eine Halluzination? Ich sehe mich um. »Mama?«
    Wenn ich nicht wüsste, dass ich gerade erst auf dem Klo war, würde ich mir direkt in die Hose machen.
    »Das redest du dir ein.«
    Schon wieder Mamas Stimme. Kommt sie die Treppe herauf? Wo soll ich hin? Mich unter das Sofa quetschen? Mein Herz schlägt bis zum Hals. Scheiße! Was mache ich hier überhaupt? Und was macht Mama hier?
    »Wie soll ich dir darauf eine Antwort geben?«
    Endlich begreife ich, dass die Stimmen aus dem Garten heraufkommen und sich durch das gekippte Fenster schlängeln. Ich krieche dichter an die Scheibe heran und richte mich vorsichtig wieder auf. Ja, dort unten auf dem frisch gemähten Rasen stehen Rita und Mama dicht beieinander. Rita hat ihre Birne an Mamas Schulter gelegt und Mama streicht über ihren vibrierenden Rücken und tätschelt ihr den Oberarm. Das schockt. Ich glotze weiter runter, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen soll, und so muss ich mit ansehen, wie Rita ihre Arme um Mamas Oberkörper schlingt. Ich weiß nicht, ob das da unten meiner Entwicklung guttut. In jedem Fall habe ich die Nase gestrichen voll. Wie ferngesteuert drehe ich mich weg, gehe wie gelähmt aus dem Zimmer, tapse die Treppe herunter und will schon vorne zur Haustür raus, da fällt mir ein, dass Cotsch hier noch irgendwo herumgeistert und wir unsere Schlappen hinten auf dem Fußabtreter zum Garten liegen haben. Die brauchen wir natürlich, vor allen Dingen, um zu

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