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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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Ahnung.«
    »Hast du nicht geklingelt, oder was?«
    »Noch nicht.«
    »Warst du nicht in der Schule?«
    »Nein, heute nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich gestern umgekippt bin.«
    »Mir scheint, du kippst oft um.«
    Alice ist inzwischen von ihrem Rad gestiegen und parkt es vor der Eingangstür. Dann nimmt sie ihre peinliche Schultasche vom Gepäckträger und hängt sie sich lässig über die Schulter. Aber Alice ist nicht lässig. Sie hinkt der Zeit total hinterher. Ich meine, diese grünen Turnschuhe, die sie da an den Füßen hat, würde ich nicht mal zum Putzen anziehen. Und diese dicken Omahaarspangen mit den großen Strasssteinen drauf. Dazu die passende Bluse im Omastil. Krass. Echt krass. Als hätte sie das hundertzehnte Lebensjahr schon überschritten. Genauso benimmt sie sich auch. Immer muss sie alles ganz genau wissen.
    Alice zieht ihren Hausschlüssel an so einem komischen elastischen Band aus ihrem Gürtel und steckt ihn in das Schloss. Ohne mich anzugucken, bemerkt sie: »Deine Mutter macht sich Sorgen um dich.«
    »Was für Sorgen?«
    »Dass du zu dünn bist.«
    »Woher weißt du das denn?«
    »Das hat sie meiner Mutter erzählt.«
    »Aha.«
    »Deine Mutter sagt, sie hat so ein komisches Pulver in eurer Verkleidungskiste entdeckt.«
    »Was für Pulver?«
    Jetzt dreht sich Alice zu mir um und lässt den Schlüsselbund wieder zurück in ihren Gürtel schnellen. Sie zieht die Augenbrauen hoch, wie dieser Detektiv-Typ aus der Sesamstraße und zieht die Luft ein. Fehlt nur noch die Lupe.
    »Du weißt genau, wovon ich rede!«
    »Weiß ich gar nicht.«
    Alice hat echt einen an der Waffel. Die soll sich auf ihr Paganini-Spiel konzentrieren und mich in Ruhe lassen. Sowieso wird sie gleich das Trauma ihres Lebens erfahren, wenn sie durchs Haus in den Garten marschiert und meine Schwester im Brautkleid ihrer Mutter vorfindet, wie sie Rita und Mama den Marsch bläst. Check it out, Alice!, kann ich da nur sagen.
    Ich binde die Schnürsenkel meiner Chucks zu und will mich verdrücken, als Alice hinter mir herruft: »Meine Mutter sagt, dass deine Mutter dich ins Krankenhaus einweisen lässt, wenn du noch einmal ohnmächtig wirst. Da wirst du dann zwangsernährt.«
    Leg dir die Segelohren an, Alice! Kaum vorstellbar, dass wir mal eng miteinander befreundet waren. Ich hebe die Hand und sage: »Danke für die Info!«
    Alice verschwindet im Haus und schlägt hinter sich die Tür zu. Ich bleibe im Vorgarten stehen und weiß nicht, was ich denken soll. Außer dass Alice Segelohren hat und dass sie dringend etwas dagegen unternehmen sollte. Bevor ich meine Beine endlich dazu bringen kann, mich von diesem sündhaften Ort wegzubewegen, wird die Haustür wieder aufgerissen. Alice stürmt mit fliegenden Fahnen an mir vorbei und schreit:
    »Deine Scheiß-Schwester hat das Brautkleid meiner Mutter an!«
    Jetzt hab ich aber die Nase gestrichen voll! Wenn Wunderkindchen Alice meint, schlecht über meine Schwester reden zu können, da hat sie sich aber geschnitten. Schließlich ist ihre lebensmüde Mutter an allem schuld. Sie ist diejenige, die meine arme Mama mit ihrer Hilfsbedürftigkeit von sich abhängig gemacht hat. Ich schreie also zurück: »Ach ja? Ich würde eher sagen: Deine Scheiß-Mutter wollte sich gerade umbringen und wir haben sie gerettet. Du Nutte!«
    Ha, sehr gut. Den Satz habe ich, wie ihr wisst, von Corinna. Und auch bei Alice zündet er voll rein. Mit gesenktem Kopf und glühenden Augen kommt sie auf mich zugestürmt, wie ein wild gewordener Stier, würde ich sagen. Ich vermute, sie will sich direkt an mir rächen. Schnell springe ich in den Oleander, schlage mich durch das Gehölz und hocke mich, an die Hauswand gepresst, ganz klein hin. Es ist nicht so, dass ich feige bin. Ich weiß nur aus der Vergangenheit, dass Alice dazu neigt, zu kratzen und zu beißen. Wenn wir früher zusammen gespielt haben, kam ich ständig mit zerkratztem Gesicht und zerbissenen Armen nach Hause. Darauf kann ich heute echt verzichten, wo ich doch schon diese roten Striemen von den gestrigen Sträuchern auf den Wangen habe.
    Inzwischen hat sich Alice vor dem Oleander aufgebaut und schreit in geduckter Haltung in das Grünzeug hinein: »Komm sofort da raus, Lelle!«
    Ich antworte nicht.
    »Komm raus! Ich befehle es dir.«
    »Ja, und? Wen interessiert das?«
    »Komm raus, oder ich...«
    »Na, jetzt bin ich aber gespannt.«
    »Oder ich gebe dir nie wieder dein violettes Top zurück.«
    Leute, Alice hat mich leider in der Hand.

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