Leute, ich fuehle mich leicht
Vasen und einige von ihnen spielen Gitarre oder Keyboard.
Johannes schleudert seine abgewetzte Ledertasche unter den Schreibtisch und macht so eine einladende Bewegung in Richtung Matratze: »Sit down.«
Ich hocke mich auf den Matratzenrand und wundere mich, wo ich so plötzlich und unerwartet gelandet bin. Es duftet nach Apfelkuchen und Holz und Kaminfeuer. Ein guter Geruch, wie ich finde. Sehr ländlich. Johannes lässt sich neben mich auf die Matratze fallen und rutscht ganz zurück, sodass er sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnen kann. Ich gucke auf seine Füße, die in weißen Basketballsneakern stecken, aus denen die Schnürbänder entfernt wurden. Ich frage mich, wie er darin laufen kann. Die flutschen einem doch bei jedem Schritt von den Füßen. In jedem Fall freue ich mich, dass Johannes schöpferisch tätig ist. Das ist ein gutes Zeichen. So haben wir die Möglichkeit, uns gegenseitig zu inspirieren.
Er klopft mir auf den Oberschenkel und wirft seinen langen Pony nach hinten: »Ey! Willst du einen Tee?«
»Nein danke.«
Hinterher muss ich noch aufs Klo. Was das Thema anbelangt, bin ich etwas schwierig. Ich neige dazu, die Notdurft lieber auszuhalten und vor Schmerzen fast zu sterben, als die Schmach auf mich zu nehmen, die Leute nach ihrer Toilette zu fragen. Ich denke immer: Dann hören die ja, wie ich pischere. Da kann ich mir echt bestechendere Situationen vorstellen. Ich rutsche nun auch nach hinten, sodass wir Schulter an Schulter an der Wand lehnen. Ich drehe ihm meinen Kopf zu und lächle mein berühmtes Lächeln. Dabei lasse ich meinen Blick unauffällig über sein Gesicht gleiten. Er hat einen wirklich süßen Mund. Den würde ich gerne küssen. Aber da springt Johannes schon wieder auf und fummelt in einem mächtigen Plattenstapel herum, der an der gegenüberliegenden Wand lehnt.
»Ich mach uns mal Musik an.«
Das kann mir nur recht sein, bevor mein Magen anfängt, hörbar zu knurren. Johannes zieht eine Plattenhülle hervor und legt den Inhalt auf den Plattenspieler. Ich glaube, ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der sich Schallplatten auflegt. Ziemlich abgefahren. Es rauscht und knistert aus den großen schwarzen Boxen, die über der Tür von der Zimmerdecke hängen, und schon kommt eine ziemlich laute Klanglawine auf uns zugerollt.
Automatisch rufe ich: »Darfst du so laut Musik hören?«
»Nö!«
Johannes grinst mich an und macht mit seinen Fingern Tippbewegungen in die Luft, als würde er auf den Tasten eines Keyboards herumdrücken. Mir ist das ein bisschen peinlich. Aber wahrscheinlich macht man das als Musiker so. Keine Ahnung. Ich nicke und versuche, ebenfalls zu grinsen. Aber ich befürchte, seine Mutter kommt gleich rein und schimpft uns an. Darum sage ich: »Mach doch mal etwas leiser.«
Johannes streckt seine Hand mit der Fernbedienung in Richtung Verstärker aus.
Ich sage: »Ist Henrie dein Bruder?«
»Jep.«
»Und wann musst du den vom Kindergarten abholen?«
»In zwei Stunden.«
Ich bin wirklich genau wie Mama. Total nervig. Dauernd habe ich den Fimmel, alles zu korrespondieren und zu organisieren. Ist doch nicht meine Sache. Obwohl, wenn ich drüber nachdenke, dann natürlich schon. Schließlich möchte ich gerne wissen, wie lange Johannes mir zur Verfügung steht.
Ich nicke und frage: »Und was sind das für Bilder, die hier an den Wänden hängen? Hast du die gemalt?«
»Jep.«
»Die sind cool. Irgendwie so expressiv.«
»Danke.«
Ich räuspere mich und erkläre: »Ich töpfere übrigens Skulpturen. Die sehen deinen Figuren seltsamerweise total ähnlich... Später will ich mal Bildhauerin werden.«
»Echt? Mein Vater ist Bildhauer!«
»Wirklich?«
»Klar.«
Johannes zieht aus seiner Jeanstasche ein Päckchen Tabak und dreht sich eine Zigarette. Anschließend hält er sie mir hin. »Willst du?«
»Merci.«
Ich nehme sie, und weil das Gespräch nicht weiterläuft, überlege ich, ob ich Johannes einfach von Mama und Rita erzählen sollte. Emotionale Themen sind immer gut, um sich näherzukommen. Überhaupt scheint er Ahnung von gewissen Problematiken zu haben, beziehungsweise er scheint sie im Unterbewusstsein mit sich herumzutragen, sonst würde es wohl kaum zu diesen beängstigenden Zeichnungen kommen. Unter uns: Mich sprechen sie wirklich an. Wenn ich mein analytisches Gehirn mal anschmeiße, muss ich unterm Strich vermuten, dass Johannes sich vor Degeneration fürchtet. Körperlicher, gesellschaftlicher oder geistiger. Alles ist
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