Leute, ich fuehle mich leicht
schon einige Stunden her, in denen viel passiert ist. Noch schlimmer wäre allerdings, wenn der aufdringliche Aftershavegeruch von Helmuth auf mich übergegangen wäre und ich wie so ein piefiger Autohausbesitzer müffelte.
Johannes beugt sich etwas zu mir runter und bemerkt: »Mannomann! Das war ja gestern eine ganz schön krasse Aktion! Wie du da einfach nach hinten in die Büsche gekippt bist. Ich dachte, du bist tot oder so. Geht es dir wieder besser?«
Ich nicke. »Und dir?«
»Klar... Was meinst du?«
»Na, nachdem du die Zigarette gegessen hast.«
»Ah, ja. Ganz gut... Ich musste mich noch ein paarmal übergeben, um ehrlich zu sein, die ganze Nacht.«
»Du Armer!«
»Und was hast du da für rote Striemen im Gesicht? Wurdest du mit einem Dornenkranz ausgepeitscht?«
»Die sind von dem Sturz in die Büsche.«
»Tun die weh?«
»Nö. Nicht besonders.«
Ich atme tief ein und sehe an Johannes’ Schulter vorbei in die kultivierte Landschaft hinein. Hinter ihm erstrecken sich die Barock-Gärten aus dem 17. Jahrhundert, eingefasst von akkurat geschnittenen Buchsbaumhecken und einem breiten Wassergraben, in dem sich die Sonne glänzend spiegelt. Nach der Begegnung mit dem zerstörten Helmuth muss ich mich erst einmal wieder sammeln. Ich muss die Vergangenheit ruhen lassen und nach vorne blicken. Das sagt mein Mathe-Nachhilfelehrer Herr Henkel immer zu mir, wenn ich schon wieder kurz davor bin aufzugeben. Dazu tätschelt er meine Hand. Bei ihm ist das okay, weil er schon über siebzig ist. Ich habe seine alte, etwas zittrige Stimme genau im Ohr: »Elisabeth, du musst nach vorne schauen und die Vergangenheit ruhen lassen.« Genau das mache ich jetzt. Ich strecke mich und frage: »Und was machst du hier?«
Johannes hebt die Hände. »Ich wohne hier.«
»Aha... Hast du Lust, ein bisschen spazieren zu gehen?«
»Warum nicht? Ich muss nur schnell meine Sachen nach Hause bringen.«
Leute, das klappt ja wie am Schnürchen. Wir gehen nebeneinander die Kopfsteinpflasterstraße hinunter, an den orange getünchten Gesindehäusern vorbei, in die kleine Siedlung hinein. Hier stehen ziemlich pompöse Einfamilienhäuser. Vor einer blau lackierten Stahltür halten wir an. Johannes wirft sein Rad in einen bereitstehenden Busch mit roten Beeren und rupft seine Schultasche vom Gepäckträger.
»Hier wohne ich.«
»Aha.«
An der Mülltonne vorbei, werde ich von Johannes durch den Vorgarten gelenkt. Dann winkt er in das dunkle Küchenfester hinein, hinter dem ein Mädchen herumlungert.
Ich frage leise: »Wer ist das?«
»Meine Schwester Isabelle.«
Johannes schließt die Tür auf und ich folge ihm in dieses fremde Haus. Vor uns erstreckt sich ein langer, schmaler Gang, an dessen Wänden große gerahmte Bilder hängen. Rechts vom Eingang geht eine Art verglaster Innenhof ab, in dem Rosenbüsche eine riesige orangefarbene Hollywoodschaukel umranken. Sehr schön ist es hier. Auf dem Boden neben der Eingangstür stehen zwei große Vasen mit chinesischem Muster, eine davon soll wohl der Schirmständer sein, zumindest stehen Schirme darin. Isabelle kommt mit einem Glas Orangensaft aus der Küche und mustert mich neugierig von oben bis unten. Wahrscheinlich, um zu prüfen, ob ich hierherpasse.
Also lächle ich und hebe die Hand. »Hi, na.«
Offenbar ist sie etwas älter als ich. Macht ja nichts. Und sie hat grün gefärbte Haare. Sie nickt mir kurz zu und meint dann zu Johannes: »Mama will, dass du Henrie nachher aus dem Kindergarten abholst.«
»Ja, mache ich.«
Anschließend werde ich von ihm den Gang hinuntergezogen, und ich sage noch schnell über die Schulter: »Ich heiße übrigens Elisabeth.«
Dann folge ich Johannes. Der Boden besteht aus so einer Art Kunststein mit orientalischen Mustern. Am Ende des Ganges biegen wir nach rechts ab, und Johannes öffnet eine Zimmertür, die zu einem schmalen Raum führt. Eine Matratze mit grauer Überdecke liegt auf dem cremefarbenen Teppich. Am Ende des lang gezogenen Zimmers ist eine Terrassentür, die schon wieder auf einen kleinen, weiß gekiesten Innenhof führt, in dem Elefantengras weht. Mir gefällt es hier wirklich gut. Auf der schwarzen Tischplatte, die auf zwei Böcken nahe beim Fenster steht, liegen Massen von bunten Stiften und Haselnüsse verstreut. An den Wänden hängen von der Decke bis zum Boden hinunter, übereinandergepinnt, farbige Bilder von Kreaturen, die drei Köpfe und fünf bis sechs Augen und mehrere Ohren haben. Sie wachsen aus gemalten Töpfen und
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