Leute, ich fuehle mich leicht
möglich. Oder: Er fühlt sich selbst degeneriert. Ich werde das schon noch herausfinden. In jedem Fall sind wir füreinander geschaffen. Er gibt mir mit seinen wunderschönen Händen Feuer und dann ziehen wir beide an unseren selbst gedrehten Dingern.
Johannes meint: »Ey, du siehst ein bisschen traurig aus.«
Dauernd sagt er »Ey«, und dann auch noch mit so einem Gluckern in der Stimme.
Ich ziehe meine Augenbrauen hoch und sage: »Ja, ja. Ich weiß auch nicht...«
Was natürlich totaler Quatsch ist. Aber ich sträube mich noch, ihm zu sagen, dass ich meine Mutter mit einer anderen Frau erwischt habe. Also sage ich: »Ich habe meine Mutter mit ihrer besten Freundin erwischt.«
»Wie ›erwischt‹?«
»Na, wie sie sich so leidenschaftlich umarmt haben.«
»Hä?«
»Meine Mutter hat was mit ihrer besten Freundin.«
»Du meinst, sie ist lesbisch?«
»Ich befürchte es, ja.«
»Krass.«
Ich nicke, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen soll. Wir drücken unsere Zigaretten auf so einem kleinen selbst getöpferten Tontellerchen aus, und Johannes fragt: »Bist du deswegen so dünn?«
Was soll das denn jetzt? Wie kommt er denn dadrauf? Sieht man mir das an, oder was? Ich schlucke und gucke ihn an.
Johannes schiebt den Aschenbecher unter den kleinen Nachttisch mit der Leselampe drauf und meint: »Na ja, dick bist du ja nicht gerade. Ich meine, vielleicht hast du Probleme.«
Ich beiße mir auf die Lippen, weil ich - außer mit meiner Therapeutin und Tessi - noch mit niemandem sonst so ein Gespräch geführt habe. Mit Alina rede ich über ganz anderen Scheiß. Über unsere behämmerten Lehrer, unsere behämmerten Mitschüler und über die verrückte Tante aus der zehnten Klasse, in die sie sich verliebt hat. Wahrscheinlich hat sich Alina bei Mama mit der Homosexualität angesteckt, anstatt bei mir mit dem Hungern. Alina ist ja wirklich in eine Schülerin aus der Zehnten verknallt. Aber auch nur, weil die die gleiche Frisur hat wie dieser Sänger aus dieser berühmten Band, die alle gut finden. Ich habe mir geschworen, den Bandnamen nie auszusprechen, weil ich den schon zehntausendmal am Tag von Alina hören muss. »Tokio Hotel sind megasweet.« Wahrscheinlich ist Alina einfach nur scharf auf Menschen mit solchen Frisuren. Wirklich! Der Sänger hat ja eben diese ganz langen Haare, die mithilfe von viel Haarspray nach allen Seiten wegstehen, und dazu hat er schwarze Klamotten an. Alina läuft darum auch nur noch in enger schwarzer Kleidung rum und stylt sich so eine Grufti-Frisur. Aber zu ihrem Leidwesen muss sie sich immer einen Helm aufsetzen, wenn sie mit dem Rad zur Schule fährt. Dabei wird ihr Styling natürlich platt gedrückt. Ihre ängstliche Mutter will das so. Alina ist nämlich ihr einziges Kind - neben ihren Yorkshireterriern, denen Alina auch schon mal die Haare schwarz gefärbt hat.
Johannes guckt mich abwartend von der Seite an, und ich habe das Gefühl, der Nachmittag geht in die falsche Richtung. Ich meine, normalerweise hätte ich wirklich nichts dagegen, ihm »reinen Wein« über meine labile Psyche einzuschenken, wie mein Englischlehrer gerne sagt, wenn es um das Zensurenverteilen geht. Aber hinterher bin ich Johannes zu problematisch. Vermutlich will er lieber ein Mädchen, das unkompliziert ist und aus heilen Verhältnissen kommt. Für mich persönlich wäre das ja nichts. Ich stehe auf gebrochene Existenzen. Also drehe ich meinen Kopf langsam wieder in seine Richtung und erkläre: »Ja, manche Dinge beschäftigen mich schon sehr.«
Johannes nickt, überlegt kurz und meint dann: »Meine Eltern machen es mir auch nicht leicht... Manchmal denke ich, ich sollte anfangen, Benzin zu schnüffeln, um nichts mehr zu spüren.«
»Mach das bloß nicht. Das ist total blöd. Ich habe mal mit einem rumgeknutscht, der Klebstoff geschnüffelt hat. Der hat total eklig geschmeckt.«
»Von dem Problem habe ich auch schon gehört.«
Wir starren raus in den Innenhof, wo die unterschiedlich silbrig grünen Elefantengräser wehen und wo sich die Sonne golden darüberbreitet. Wunderschön ist das. Wie am Mittelmehr oder so. Wir atmen tief ein und aus, eigentlich könnte man das auch »seufzen« nennen, und dann klatscht mir Johannes plötzlich mit seiner Hand auf den Oberschenkel und fragt mit einem übertrieben fröhlichen Ton in der Stimme: »Ey, hast du eigentlich einen Freund?«
»Ich hatte mal einen. Aber der ist jetzt in Afrika, um für arme Kinder Hütten zu bauen.«
»Ey, das ist cool. Das
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