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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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ist Frau Henkel zu hören, die sagt: »Elisabeth ist bei uns vom Stuhl gefallen. Ihr Puls ist schwach. Wir haben uns erlaubt, einen Krankenwagen zu rufen … Ja, ja. Ist in Ordnung... Ich rufe sie an... Ja, ich fahre mit, wenn ich darf.«
    Dann legt sie auf und kommt wieder zu Herrn Henkel und mir ins Zimmer: »Meine Güte, Manfred. Ich habe es immer geahnt, dass das eines Tages passieren wird. Das Mädel ist so dürr. Das hat ja gar nichts zuzusetzen.«
    Und Herr Henkel sagt: »Mensch, Mensch, Mensch.« Und ich erinnere mich an früher, als ich einmal ausnahmsweise Mittagsschlaf bei meinem Babysitter machen musste, obwohl ich gar nicht wollte. Ich sollte ganz leise sein, weil noch ein anderes Mädchen mit in diesem fremden Zimmer lag. Und als Mama mich dann endlich abholen kam, habe ich mich nicht getraut, ihr ein Zeichen zu geben, dass ich wach war. Sie hat zu mir ins Zimmer geguckt und gedacht, dass ich in diesem Bett mit der geblümten Wäsche schlafe. Aber ich habe sie durch meine blinzelnden Lider genau gesehen! Sie war nur vier Meter von mir entfernt! Doch Mama hat nichts geschnallt und ist einfach wieder gegangen, um später wiederzukommen. Und ich lag da in diesem Bett und musste hundert Jahre warten, bis sie wiederkam. Wie ein gelähmtes Kind. Ich glaube, in dem Moment habe ich mein erstes Trauma erlitten. Und genauso fühle ich mich jetzt. Ich bin wach, darf es aber nicht zeigen. Und in meiner Hosentasche vibriert mein Handy. Und ich weiß, es ist Johannes, der wissen will, wann er mich heute Abend an der U-Bahn-Haltestelle abholen soll. Und ich kann nicht drangehen und es ihm sagen. Jetzt ist es wirklich so, als wäre ich vom ersten Halswirbel an abwärts gelähmt. Und das Schlimme daran ist: Ich bin selbst schuld.

16
    L eute, es ist etwas Irres passiert! Ich bin jetzt in einer Klinik für psychisch Kranke untergekommen. Die Einrichtung liegt direkt an einem großen See. Wie im Hotel ist es hier. Alle Böden sind mit dunkelroten Teppichen ausgelegt und kleine Grüppchen von blauen und gelben Sesseln stehen um runde Tischchen herum. Im ersten Stock gibt es einen großen Speisesaal mit Fensterfront, von dem man raus auf den See sehen kann. Dann gibt es noch eine Parkanlage rund ums Gebäude, ein eigenes Schwimmbad im Keller, Gymnastikräume, Doppelzimmer für die Patienten und Therapieräume.
    Die Leute von der Notaufnahme haben mich hierhergeschickt, weil sie dachten, dass ich es nicht mehr lange mache. Speziell nach der Nummer bei meinem Nachhilfelehrer Herrn Henkel. Ich konnte ja schlecht zugeben, dass das alles nur Show gewesen war, um den Nachmittag sinnvoller zu gestalten. Die Ärzte haben mir eine ordentliche Menge Blut abgenommen, um am Ende festzustellen, dass ich gefährlich unterernährt bin. Kurz darauf kam Mama reingerannt und hat zu dem Pfleger, der mir gerade ein Pflaster auf den Arm geklebt hat, mit bebender Stimme gemeint: »Jetzt reicht’s mir!« Der Pfleger hat ängstlich genickt und gesagt, er holt besser mal einen Arzt. Und schon war er weg. Nach ein paar Minuten kam ein Doktor im weißen Kittel zu uns rein und hat Mama mit sanfter Stimme ein Beruhigungsmittel angeboten. Sie hat das Angebot sofort angenommen. Das fand ich echt cool, weil der Onkel Doktor offenbar gar nicht damit gerechnet hatte. Der meinte gleich ganz verlegen: »Na, dann schaue ich mal, was ich für Sie auftreiben kann.« Also ist er wieder raus und kam mit einer Spritze zurück, die er meiner Mutter direkt in die Vene gejagt hat. Danach war Mama nicht mehr dieselbe. Sie war ganz ruhig und hat sich alles angehört, was der Arzt zu sagen hatte, von wegen, dass ich dringend in die Klinik soll, um mich aufpäppeln zu lassen, und dass Mama ja auch mal ein bisschen Entlastung von der ganzen Verantwortung gebrauchen könnte. Da hat Mama debil gelächelt und sich so ein wenig in den Arzt verliebt.
    Jetzt sitze ich im nachmittäglichen Sommerlicht auf dem Balkon von meinem Zimmer, als wäre ich im Urlaub. Mildes orangefarbenes Licht wärmt meine nackten Arme. In der Nase habe ich eine Sonde, über die ich künstlich ernährt werde. Ich glotze auf die gegenüberliegenden Balkone, hinter denen andere Essgestörte in ihren Räumen sitzen und davon träumen, ein unbeschwertes Leben zu führen. Meine Zimmergenossin ist gerade zur Bauchmassage. Die kriegen wir hier alle, um unsere Verdauung in Schwung zu bringen. Ich will da jetzt nicht weiter drauf eingehen. Vor allen Dingen glaube ich nicht, dass es was bei meiner Mitbewohnerin

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