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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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auch aus dem Buch. Ich habe gleich ein paar Kapseln geschluckt, okay? Danach habe ich in meinem Zimmer einige Stunden Pilates gemacht. Und anschließend bin ich auf der Stelle gelaufen, bis am Abend meine Eltern nach Hause kamen. In der Nacht ging es dann richtig los mit den Magen-Darm-Krämpfen. Diese Schmerzen waren so schlimm, dass ich im Badezimmer auf die Marmorfliesen gekippt bin. Und danach habe ich das mit dem Übergeben versucht, bis es schließlich geklappt hat. Tja, was soll ich sagen? Inzwischen ist meine Speiseröhre im Arsch. Eigentlich mein ganzer Körper. Darum bin ich jetzt hier.«
    Als die Trine endlich mit ihrer epischen Erzählung fertig war, hat sie ihre Hände adrett im Schoß gefaltet und mich mit ihren riesigen Glupschern erwartungsvoll angeguckt. Die dachte wahrscheinlich, ich klatsche ihr jetzt Beifall. Ich habe aber nur genickt und »Aha« gesagt. Dabei habe ich weiter meine Sachen in den Kleiderschrank geräumt und an Johannes gedacht und mir Sorgen gemacht, dass er mich vielleicht nicht mehr will. Diese Simone denkt echt, sie wäre wer weiß was für eine außergewöhnliche Kanone. Die First Lady oder so. Ich meine, hat die Tante keine Augen im Kopf, oder was? Was glaubt die eigentlich, warum ich hier bin? Weil ich an Übergewicht leide? Werde ich darum künstlich ernährt? Aber ich freue mich ja immer, wenn mir noch mal jemand alles von Adam und Eva an erzählt. Von wegen, wie es essgestörten Mädchen wie ihr emotional und körperlich geht. Mir scheint, die leiden richtig. Überraschung!
     
    In der Nacht habe ich ziemlich lange wach gelegen und Simone bei ihrem schnarchenden Atmen zugehört. Ich hatte diese Sonde in der Nase, und mit den Händen habe ich gefühlt, wie weit meine Hüftknochen hervorstehen. Wie zwei Griffe. Vor der offenen Balkontür haben die Baumkronen sanft im nächtlichen Wind gerauscht, und ich habe mir vorgestellt, wie es sein würde, in diesem Augenblick mit Johannes bei Kerzenschein auf seiner Matratze im Zimmer zu sitzen und leise Musik zu hören. Ich habe seine nackten Arme im goldenen Schimmer der Kerzenflamme vor mir gesehen, wie er sie auf seinen angezogenen Knien abgelegt hat. Er hat mir seinen Kopf zugedreht und mich angelächelt. Irgendwann hat er meine Hand genommen, ist aufgestanden und hat mich zu sich nach oben gezogen. Wir sind raus in den kleinen Innenhof, wo die Elefantengräser silbrig im Mondlicht wehten. Da haben wir uns geküsst. Ich sage euch, Leute, mich hat es innerlich fast zerrissen, so sehr habe ich ihn gestern Nacht vermisst, und dieses Vermissen ist immer schlimmer geworden, und plötzlich war da Arthur in meinen Gedanken, der mir lachend und lehmverschmiert zugewunken hat. Ich habe ihm mit dem Tropf im Arm zurückgewunken, er hat erschrocken geguckt und gerufen: »Lelle, was ist mit dir?«
    Und ich habe gerufen: »Arthur, ich löse mich auf.«
    Schließlich bin ich doch noch weggedämmert und habe noch einmal durchlebt, wie ich gestern Nachmittag mit Mama im Zug hierhergekommen bin. Mama musste allerdings gleich wieder verschwinden, weil die Leute von der Klinik nur mich hier haben wollen, damit ich Abstand zu meiner Familie bekomme. Ist ja auch in Ordnung. Ich meine, irgendwo muss man ja anfangen. Für Mama war das auch in Ordnung, die war ja noch immer voll auf ihrem Beruhigungsmittel-Trip.
    Zum Abschied habe ich ihr viele Küsse auf ihre weichen Wangen gegeben und gesagt: »Ich hab dich lieb, Mama.«
    Sie hat gemeint: »Ich dich doch auch!« Und: »Werd gesund, mein Kind!«
    Dann ist sie durch die gläserne Drehtür raus in die blaue Dämmerung, wieder ins Taxi gestiegen und zurück zum Bahnhof gebrettert. Die eine Schwester hat mich hoch ins Zimmer geleitet, wo dann auch schon die behämmerte Simone auf ihrer Bettkante saß und sich ihre künstlichen Fingernägel gefeilt hat.
     
    Heute Morgen ging es gleich mit der Ärztevisite los. Das muss man mal mitgemacht haben. Du liegst im Bett, weit weg von zu Hause, glotzt als Erstes in das Gesicht deiner beknackten Mitbewohnerin, sie glotzt dich an und dann geht auch schon die Tür auf und ein Haufen Ärzte und Schwestern quillt zu dir ins Zimmer. Diese fremden Menschen bauen sich in ihren weißen Kitteln zwischen den Betten auf und sagen, dass du mal dein T-Shirt hochheben sollst, damit dein Herz abgehört werden kann. Zu allem Überfluss haben sie bei der Gelegenheit festgestellt, dass ich Herzgeräusche habe. »Herzgeräusche?«, habe ich gefragt. »Was ist das denn? Noch nie

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