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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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bringt. Die kippt nämlich kiloweise Abführmittel in sich rein. Vorher kotzt sie aber noch. Das Ganze nennt man dann Bulimie. Sie heißt Simone und hat mir gestern Abend, als ich hier angekommen bin, gleich ihre ganze beschissene Lebensgeschichte erzählt. Zu diesem Zweck hat sie sich mit ihren Badelatschen gemütlich in unseren Sessel gepflanzt und losgequatscht, als würde sie in einer dieser Talkshows sitzen, in der man in voller Breite sein langweiliges Schicksal zum Besten gibt. Dabei war ich eigentlich gerade dabei, mit Johannes zu telefonieren und ihm zu erklären, wo ich bin. Das hat Simone überhaupt nicht interessiert. Sie hat sich auf ihrem Platz zurechtgerückt, sich geräuspert und diese wichtigtuerische Miene aufgesetzt, als hätte die Welt nur darauf gewartet, sie quatschen zu hören. Es hat bloß noch gefehlt, dass sie sich ihre Haarbürste nimmt und reinbrabbelt, als sei es ein Mikrofon. Zuerst habe ich mir das andere Ohr zugehalten und weitertelefoniert, aber Simone hat ihre Stimme einfach kontinuierlich lauter gestellt, sodass ich zu Johannes irgendwann sagen musste: »Ich melde mich später.« Ich habe aufgelegt und angefangen, meine Klamotten aus dem Koffer in den Schrank zu packen, um die Zeit sinnvoll zu nutzen. Und schon hat Simone losgelegt.
    »Also, es war ja so: Vor vier Jahren habe ich erst mal eine Erdbeer-Diät gemacht. Ganz normal, um abzunehmen. Du hättest mich sehen sollen! Ich sah schlimm aus. Voll fett. Zum Glück hat meine Mutter von mir ein Foto im Badeanzug gemacht. Das haben wir dann zur Abschreckung an den Kühlschrank geklebt. Dann habe ich immer mehr abgenommen und irgendwann konnte ich nicht mehr aufhören. Obwohl sich alle voll Sorgen gemacht haben. Mein Hockey-Lehrer - total süß -, der hat mich nach einem wichtigen Spiel zur Seite genommen und gesagt: »Simone, ich mache mir Sorgen um dich!« Dann meine Reitlehrerin, mein Klassenkameraden, alle haben sich nur gesorgt. Aber ich konnte nicht mehr aufhören zu hungern. Kennst du das? Darum hat mir meine Mutter - total intelligent - ein Buch über Magersucht mitgebracht. Sie dachte, dass ich dadurch merke, wie krank ich bin. Hallo? Wie bescheuert kann man sein? Das Buch ist natürlich zu meiner Bibel geworden. Weil, da standen viele Tricks und Tipps drin, wie man noch schneller abnimmt und die eigenen Eltern hintergeht, indem man so tut, als ob man etwas isst, den Scheiß aber stattdessen unterm Bett versteckt. Irgendwann, so ungefähr nach einem Jahr, habe ich dann plötzlich einen krassen Fressflash gekriegt. Das ist ganz normal, wenn man so viel hungert, wie ich das damals getan habe. Magersüchtige bekommen ja Fressattacken, weil sich der Körper endlich das holt, was ihm die ganze Zeit vorenthalten wird. Dagegen kann man gar nichts machen. Plötzlich hat der Körper einen im Griff und nicht umgekehrt. Egal wie sehr man sich anstrengt, man schafft es nicht, ihn aufzuhalten. Der Mund geht auf, und man stopft alles rein, was geht. Ich habe mir damals eine ganze Schüssel Spaghetti aus dem Kühlschrank geholt, mit Mayo vermischt und aufgefressen. Zum Glück war gerade niemand in der Nähe. Meine Mutter war beim Shopping, mein Vater im Büro und meine Schwester bei ihrem Freund. Na ja. In jedem Fall war die Scheiße in mir drin, und ich dachte: Okay, ich werde jetzt so fett, dass ich mich nie wieder auf die Straße trauen werde. Ich bin hässlich, ich bringe mich um. Mir ging es so scheißdreckig, entschuldige meine Ausdrucksweise, dass ich bereit war, mir bei vollem Bewusstsein eigenhändig den Magen aufzuschlitzen. Dann ist mir aber gerade noch rechtzeitig eingefallen, was ich in diesem Magersuchtsbuch gelesen hatte: dass man sich ja auch einfach erbrechen kann. Ich bin also in unser Badezimmer hoch - wir haben goldene Wasserhähne und Marmorfliesen - und da habe ich mir meine Zahnbürste in den Hals gerammt. Aber es kam nichts. Ich habe es über eine Stunde versucht, aber es kam nichts raus. Ich dachte: Okay, dann gehe ich eben ins Krankenhaus und sage, dass ich mir den Magen verdorben habe und sie ihn mir gefälligst auspumpen sollen. Das habe ich dann auch gemacht. Ich bin mit dem Taxi hin. Ich fahre nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Da sitzen so furchtbare Proleten drin. Na ja. Im Krankenhaus haben sie leider sofort geschnallt, dass ich eine Essstörung habe, und wollten mir nicht den Magen auspumpen. Also bin in die nächste Apotheke und habe mir eine Schachtel Abführmittel gekauft. Den Tipp hatte ich

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