Leute, ich fuehle mich leicht
die Bescheinigung dafür, dass du richtig wichtig bist.«
»Hä?«
»Jeder will psychisch krank sein. Aber die meisten kriegen es nicht hin, weil sie zu blöd sind oder aus heilen Familien kommen... Was weiß ich.«
»Kommst du aus einer kaputten Familie?«
Ich drücke meine Zigarette auf dem Balkonboden aus und lasse sie anschließend in die kleine Wasserflasche fallen, die ich extra zu diesem Zweck hinter meinem Stuhl stehen habe.
»Logisch. Du nicht?«
Ich überlege. Keine Ahnung, was mit meiner Familie ist. Der Chefarzt Doktor Wilhelm sagt, dass ich hier bin, damit wir das herausfinden können. Simone geht das allerdings gar nichts an. Darum sage ich: »Nö. Mit meiner Familie ist alles in Ordnung.«
»Also, mit meiner ist nichts, aber auch gar nichts in Ordnung: Mein Vater arbeitet wahnsinnig viel, und neulich hat meine Mutter sich ziemlich schlimm den Fuß verknackst, als sie mit unserem Hund draußen walken war. Na ja. Und mein Bruder muss noch mal die siebte Klasse wiederholen. Apropos: Meine Schwester hat sich neulich von ihrem Freund getrennt. Ich sage dir, wir haben so einen Stress zu Hause. Kein Wunder, dass ich total im Arsch bin.«
»Das klingt echt richtig scheiße.«
»Ja, lass uns das nicht weiter vertiefen! Sonst muss ich wieder heulen und ich habe mir doch gerade erst die Wimpern neu getuscht.«
»Verstehe.«
»Ja, sag mal, und was sagen deine Klassenkameraden dazu, dass du hier bist?«
»Die wissen das nicht.«
»Was? Hast du die nicht alle angerufen und dafür gesorgt, dass die im Bilde sind?«
»Nö.«
»Du bist echt merkwürdig. So wird das nie was mit der Karriere.«
»Mit was für einer Karriere?«
»Na, als It-Girl. Wie bekloppt bist du eigentlich?«
Simone steht kopfschüttelnd auf und verschwindet mit ihren stark gebräunten Beinen in unserem Zimmer. Da dreht sie ihre Stumpfsinnsmusik voll auf, wahrscheinlich, damit ich nicht höre, wie sie im Bad rumkotzt. Als ich mich vorsichtig umdrehe und über die Schulter durch das Fenster ins Innere sehe, tanzt sie selbstvergessen zwischen den Betten herum und hält sich die Faust vor das Gesicht, als wäre das ein Mikrofon. Leute, wenn hier eine bekloppt ist, dann garantiert Simone.
Als sie merkt, dass ich sie beobachte, kommt sie noch einmal zu mir rausgehampelt und meint: »Oder willst du gar nicht berühmt werden?«
Auf solche Dummheiten antworte ich gar nicht. Ich starre sie an, als würde ich ihre Sprache nicht verstehen, und zünde mir eine neue Zigarette an. Womöglich hat Simone mit einer Sache recht: Ich sollte Alina darüber informieren, dass ich hier bin. Am Montag wird sie es sonst in der Schule von unserem Lehrer Herrn Falke erfahren. Das wäre nicht so toll. Am besten, ich sage es ihr gleich.
Ich stehe von meinem Stuhl auf, quetsche mich an der hampelnden Simone vorbei ins Zimmer. Mann, die hat einen echt schlechten Musikgeschmack. So stöhnende Tussis, die von sexy-booty singen. Voll gestört. Ich nehme mir mein Handy vom Nachtschränkchen, drücke mich an der wild herumwirbelnden Simone vorbei, die ihre Haare wie bekloppt im Kreis schleudert und so tut, als wäre sie eine Sängerin, die mit dem knochigen Arsch kreist und den Kotflügel von einem roten Ferrari ableckt. Ich gehe raus in den Flur, die Treppen runter, durch die Drehtür in die Sonne hinein. Ich knirsche den gekiesten Weg entlang, hinüber auf den Parkplatz. Da stelle ich mich zwischen die geparkten Autos, in den Schatten der Bäume und wähle Alinas Nummer an. Sie ist sofort am Apparat, wahrscheinlich hat sie wieder Klingeltöne runtergeladen, die ist süchtig danach.
»Lelle, bist du’s?«
»Ja.«
»Ich habe schon tausendmal versucht, dich anzurufen. Was ist los mit dir? Bist du kollabiert?«
»Ich bin in so eine Klinik gekommen.«
»Scheiße! In welche Klinik?«
»Für Essgestörte.«
»Aha. Scheiße. Da hängen doch bestimmt nur Kranke rum.«
»Ja.«
»Und wie lange bleibst du da? Eine Woche oder was?«
»Wohl eher zwei oder drei Monate.«
»Schittenhausen! Was soll ich denn so lange ohne dich machen? Den Jungs alleine im Schilf beim Klebstoffschnüffeln zugucken?«
Ich muss grinsen. Ich stelle mir Alina vor, wie sie mit ihren hochgestellten Haaren und ihrer schwarzen Röhrenjeans im Schilf vom Schulteich rumwatet und heimlich eine Zigarette raucht, während neben ihr die Jungs aus ihren Butterbrottüten Uhu extra schnüffeln und Alina irgendwann auch mal einen ordentlichen Zug anbieten. Was ihre ängstliche Mutti wohl dazu sagen
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