Leute, ich fuehle mich leicht
würde?
Ich seufze, und Alina meint auf der anderen Seite: »Na ja. Ich wollte dir noch sagen, dass ich Pia heute beim Einkaufen begegnet bin, und sie meinte, dass sie mein T-Shirt ziemlich krass findet. Du weißt schon, das mit dem glitzernden Totenkopf.«
»Ja.«
»Außerdem meint sie, dass sie überhaupt nicht böse auf uns ist. Sie sagt, sie fühlt sich geschmeichelt, dass wir sie gut finden.«
»Ich finde sie nicht gut.«
»Ja, ist doch egal. Das braucht sie ja nicht zu wissen.« Das ist gar nicht egal. Alina ist in die Tussi verknallt. Nicht ich. Ich hasse es, wenn man mit seinen gestörten Freundinnen immer in einen Topf geschmissen wird. Ich bin ein Individuum und interessiere mich für ganz andere Sachen als Alina. Die interessiert ja nicht mal richtig, dass ich in der Klinik bin und kurz vor dem Abnibbeln stehe. Die übergeht das einfach. Der ist nur wichtig, dass sie nicht alleine ist. Simone hat überhaupt nicht recht, dass die Leute dann plötzlich anfangen, sich Gedanken über einen zu machen. Alina denkt nur an sich und Pia. Wahrscheinlich würde es helfen, wenn ich mir einfach auch die Haare hochsprühen würde. Unter uns, Leute, ich bekomme immer mehr den Eindruck, dass man bekloppt sein muss, um in dieser Welt bestehen zu können. Und das bin ich definitiv nicht. Das ist mein Problem. Darum fühle ich mich auch so allein und unverstanden und flüchte mich in meine Sucht.
Ich sage: »Okay, Alina. Ich will nur, dass du weißt, dass es auf der Welt auch schlimme emotionale Leiden gibt.
Wir können ja mal telefonieren, wenn ich wieder draußen bin.«
»Was für emotionale...?«
»Bis später!«
Ich lege auf und stecke mir das Handy in die Jeanstasche. Offenbar hat Alina jetzt erst die Tragweite meines Schicksals einigermaßen gepeilt. Zu spät. Ich bin erst mal nicht mehr für sie zu sprechen. In mir pumpt mein Herz, als gäbe es kein Morgen. Meine Hände zittern. Ich bin so was von wütend. Eigentlich zum ersten Mal in meinem Leben. Schick! Vielleicht sollte ich jetzt Johannes anrufen und hören, ob er mich demnächst besuchen kommt. Und wie es seiner Mikrobe geht. Den Kontakt halten ist wichtig, auch um zu zeigen, dass ich nicht völlig weg vom Fenster bin. Zum Glück kennt er sich ein wenig in der Kunstgeschichte aus und weiß, dass gerade die größten Künstler oft und gerne in Irrenanstalten weggesperrt wurden, weil sie tiefgründiger waren als der Rest. Ich sage nur »Vincent van Gogh«. Ich meine, der hat sich aus Verzweiflung sogar das eigene Ohr abgeschnitten. So weit muss man es erst einmal bringen. Gerade als ich Johannes’ Nummer eingeben will, klingelt mein Telefon. Ich denke schon, es ist wieder Alina, aber es ist tatsächlich Johannes. Das nenne ich Gedankenübertragung oder schlicht: seelische Verbundenheit.
»Ja?«
»Ich bin’s, Jo.«
»Na.«
»Wie ist es so bei den Psychos?«
»Krass.«
»Gibt es da welche, die den ganzen Tag rumschreien oder ihren Kopf gegen die Wand schlagen? Werden Elektroschocks verabreicht oder Leute in Zwangsjacken gesteckt?«
»Bis jetzt noch nicht. Nur heute Mittag hat eine Patientin einen Nervenzusammenbruch bekommen. Die hat so stark vibriert, dass ihre Füße nicht mal mehr den Boden berührt haben.«
»Ich beneide dich irgendwie.«
»Warum?«
»Weil so ein Klinikaufenthalt bestimmt total inspirierend ist. Ich meine, diese ganzen unterschiedlichen Krankheitssymptome. Gibt es auch Leute, die unter Zwängen leiden, also, die sich ununterbrochen duschen oder so?«
»Besuch mich doch mal am Wochenende, dann kannst du dir selbst ein Bild machen.«
»Au ja! Aber darf man das denn?«
»Klar.«
»Okay, dann komme ich.«
»Was macht deine Mikrobe?«
»Frag nicht. Sie sieht aus, als hätte mir jemand in den Bauch geschossen.«
Ich muss lächeln, weil ich mich so freue, Johannes’ Stimme zu hören. Ich lausche, wie er mir von seiner Blutvergiftung erzählt, und seine Stimme breitet sich wohlig in mir aus und legt sich sanft um mich herum. Sie trägt mich fort, über die glänzenden Dächer der sonnenbestrahlten Autos, hinein in die rauschenden Baumkronen, runter zum See. Und dann hoch in den wolkenlosen blauen Himmel. Ich denke, dass Johannes und ich wirklich füreinander bestimmt sind. Ihm widerfahren ja fast die gleichen Dinge wie mir. Jetzt setzt er sich mit dem Telefon an sein Keyboard und spielt mir das Lied vor, das er für mich in den letzten zwei Nächten komponiert hat. Dazu singt er sehr leise, sehr sanft in mein Ohr: »Your
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