Leute, mein Herz glueht
für mich manchmal ziemlich schwierig, festzustellen, was ich eigentlich will. Das ist aber dringend notwendig, weil nämlich sonst die Gefahr besteht, dass ich wieder autoaggressiv reagiere. »Und davon wollen wir ja weg!«, hat der Chefarzt Doktor Wilhelm in der Klinik beim Abschied zu mir gemeint.
Na ja. Ihr merkt schon: Was das psychologische Terrain anbelangt, bin ich echt bestens ausgebildet. Unter uns: Eigentlich könnte ich direkt mit dem Praktizieren anfangen. Psychologie interessiert mich wirklich viel mehr als Schule. Also: Warum handelt der Mensch so und nicht anders? Gibt es den »freien Willen« - ja oder nein? Aber bevor ich jetzt zu theoretisch werde, klingle ich besser noch mal bei Helmuth Sturm. Wie gesagt: Es regnet ziemlich. Wenn nicht sogar sehr! Meine Haare kleben mir feucht am Kopf, mein Pullover haftet an meinem Oberkörper und über den Feuchtigkeitsgrad meiner Jeans brauchen wir gar nicht erst zu reden. In jedem Fall fühlt es sich so an, als hätte ich mir mehrere Lagen Gipsbinden um die Gliedmaßen gewickelt.
Ich arbeite mich noch dichter an Helmuths Haustür ran, die ja wohl nun auch bald die von Cotsch sein dürfte - sollten die beiden Verliebten tatsächlich in Las Vegas heiraten. Ich fasse es nicht! Meine Schwester und der alternde Tennistrainer! Im Übrigen wohnt Helmuth nur fünf Häuser von uns entfernt, das verspricht spannend zu werden. Zukünftig werden Cotsch und Mama dann nur noch zusammen glucken und sich gegenseitig damit vollsülzen, wie schlecht es ihnen mit ihren Männern geht. Das kenne ich schon. Die beiden tun sich echt ununterbrochen leid, weil sie sich ihr Schicksal irgendwie anders vorgestellt haben. Geistvoller oder so.
Ich drücke noch mal richtig auf die Klingel und höre, wie es drinnen in Helmuths Gemächern tüchtig läutet. Endlich vernehme ich Schritte! Mit Schwung wird die Tür aufgerissen und meine Schwester steht in grünem Spitzen-BH und passendem Schlüpfer vor mir. Ich sage es besser gleich: Sie trägt dazu noch farbig passende Strumpfhalter mit Seidenstrümpfen. Sie wirkt nicht gerade begeistert, mich zu sehen.
»Was willst du?«
Offensichtlich habe ich bei einem ihrer bizarren Sexspielchen gestört. Trotzdem frage ich höflich: »Störe ich?«
»Allerdings!«
Hinter meiner Schwester ständert nun auch Helmuth in offenem Hemd und Hose herum und guckt neugierig, wer da vor seiner Tür rumlungert. Die grauen Haare stehen ihm zu Berge, und er hat, wie ich erspähe, seine obligatorischen Schweißbänder abgelegt. So »nackt« habe ich ihn noch nie gesehen.
Ich sage: »Sorry. Aber dies ist ein Notfall!«
Und meine Schwester meint: »Na hoffentlich!«
Sie wirft die Locken nach hinten über die Schulter und Helmuth voll ins Gesicht. Das merkt sie gar nicht. Offenbar hat sie bereits das Zepter in seinem Heim übernommen. Sowieso neigt meine Schwester dazu, die alleinige Herrschaft an sich zu reißen. Bei mir hat sie es in der Kindheit auch ständig versucht, aber ich wusste mich zu wehren. Zumindest einmal, als sie sich zum wiederholten Male darüber beschwert hat, dass ich beim Essenkochen zu viele Töpfe verwende. Da hat es mir gereicht und ich habe ihr einen vollen Teller Nudelsuppe über die Haare geschüttet. Noch heute finde ich: Das war richtig. Schließlich kann meine Schwester gar nicht kochen und sie wäscht auch nicht ab. Alles klar? Die kann den nötigen Aufwand also gar nicht beurteilen.
Ich hebe meine Hand zum Schwur und lächle sweet . »Ich schwöre!«
Jetzt sieht sie mich aus zusammengekniffenen Augen durchdringend an, und in ihrem Gesicht lese ich eine Mischung aus Mitleid und absoluter Genervtheit. Ich will schon klein beigeben und anbieten, dass ich später wiederkomme, da streift mein Blick noch einmal Helmuth, und ich registriere, dass er über das ganze Gesicht freudig strahlt.
»Lelle! Welcher Wind weht dich denn zu uns?«
Fast könnte man meinen, er sei ein simples Gemüt, so begeistert ist er, mich zu sehen. Tja, Leute! Er mag mich eben gern. Ich vermute, weil ich den beiden vorhin im Garten meinen Segen zwecks Hochzeit erteilt habe. Daran scheint sich Cotsch jetzt auch wieder zu erinnern. Mit einem Mal streckt sie mir ihre Hand mit einem glitzernden Diamantring entgegen und fragt mit sorgenvoller Stimme: »Lelle, was geht ab?«
Ich räuspere mich und meine Stimme bröckelt trocken über meine Lippen: »Man hat mir das Herz gebrochen.«
Cotsch grapscht nach meinem Arm und zieht mich ins warme Innere von Helmuths Heim -
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