Leute, mein Herz glueht
da!«
Arthur fährt mit seinen Fingerspitzen über die aufgeworfene Narbe, die einen Kreis mit sechs Beinen darstellt.
»Ach das.«
»Hast du dir das da selbst reingeritzt?«
»Ja, warum?«
Ich nicke mit großen Augen, und sofort erscheint mir wieder Johannes, der sich über mich beugt und konzentriert mit dem Messer die vorgezeichneten Linien nachzieht, sodass eine dünne rote Blutlinie aus der Haut hervorquillt. Dabei hängt ihm sein hellblonder Pony ins Gesicht, und ich muss ihn ihm mit der Hand hochhalten, damit er nicht danebenritzt. Arthur streicht weiter über die vernarbte Mikrobe, als würde er so eine Antwort auf all seine Fragen bekommen.
Ich atme tief ein, dann räuspere ich mich. Ich flüstere: »Es ist viel passiert, während du weg warst.«
Arthur nickt und sagt: »Wem sagst du das?!«
13
O kay, Leute. Ich erwähne es gleich vorweg: Arthur und ich haben vorhin auf seinem Hochbett miteinander geschlafen. Ich will die Sache nicht zu sehr auswalzen, vor allen Dingen, weil ich gerade in der ersten Stuhlreihe sitze, die rund um Alices schwarz glänzenden Flügel in Weidemanns Wohnzimmer aufgebaut wurde. An den Wänden hängen Fotografien von ihren diversen Wunderkind-Konzertreisen. Also: mit japanischem Publikum, mit brasilianischem Publikum. Oder italienischem. Und unten in den Rahmenecken sind jeweils kleine Preisschilder angebracht - für Kaufinteressierte. Peinlicher geht’s nicht!
Neben mir rutscht Arthur auf seinem Platz rum und nickt den hereinkommenden Nachbarn zu. Er ist ziemlich beliebt in der Nachbarschaft, weil er nach Afrika gegangen ist. So ein selbstloses Engagement mögen die Leute. Das finden sie »bewundernswert« oder »mutig«. Gleich geht es mit dem meisterlichen Konzertabend los. Nebenan in der Küche drückt sich schon die aufgeregte Alice in ihrem hässlichen Rüschenkleid herum und versucht, ihres Lampenfiebers Herr zu werden, indem sie in der Luft Fingersätze übt. Unter uns: Dieses Theater veranstaltet sie mit Absicht, um ihrem nahenden Auftritt den Hauch des Welterschüttenden zu verpassen. Wenn es nach Alice ginge, sollten sich jetzt die Anwesenden hinter vorgehaltener Hand voller Bewunderung zuraunen: »Hast du schon das legendäre Wunderkind gesehen? Es steht in der Küche und probiert knifflige Fingersätze.« Würg!
Rechts von mir hockt Mama in ihrem dunkellila Kleid, das auch schon mal bessere Tage gesehen hat. Aber Mama meint: »Wieso? Das sieht doch noch ganz passabel aus.« Wenn sie meint. Ich würde das nicht mal zum Putzen anziehen. Aber Mama hat eben Schiss, dass Rita sauer werden könnte, wenn sie gepflegter aussieht als die Gastgeberin. Das wäre bekanntlich nicht weiter schwierig. Denn Rita zieht ja nur Sachen an, die sie sich heimlich aus dem Altkleidercontainer neben der Bushaltestelle gezogen hat. Einmal hatten wir bei einem der Hauskonzerte sogar den Fall, dass Frau Melms, die Mutter von Corinna Melms, plötzlich zu Rita meinte: »Ach, Rita! Das ist ja witzig! Die gleiche Bluse hatte ich auch mal. Ich habe sie allerdings neulich in den Altkl…« Und da wurde ihr schlagartig bewusst, dass Rita ihre Bluse ja noch nicht in den Container sortiert hatte. Also hat sich Frau Melms tausendmal bei Rita entschuldigt und gemeint: »Na ja, deine Bluse sieht ja auch noch wie neu aus. Du hättest meine sehen sollen! Die war an den Armen schon ganz abgetragen.« Und dann, nach einer Weile checkte Frau Melms erst, dass es sich tatsächlich um ihre eigene Bluse handelte, die ja eigentlich mit den anderen Altkleidern zum nächstbesten Obdachlosenheim hatte gehen sollen. Seitdem schleppt Frau Melms ihre Klamotten immer direkt zum Roten Kreuz.
Jedenfalls knabbert Mama schon wieder aufgeregt an ihrem Daumennagel herum und guckt die ganze Zeit, wo ihre Busenfreundin Rita steckt. Die rauscht in ihrem fliederfarbenen Cordanzug durch die Räumlichkeiten und checkt zum hundertsten Mal die Kasseneingänge. Die Tante hat echt Dollarzeichen in den Augen. Ihre hyperintelligente Tochter Susanna hockt im feierlichen Samtkleid hinter einem kleinen Beistelltisch an der Wohnzimmertür und zapft jedem Neuankömmling die besagten fünf Euro ab.
»Fünf Euro, bitte.«
Vor ihr liegt sogar ein Stapel selbst gebastelte Karten, auf denen die Stuhlnummern stehen. Total piefig. Dabei haben nicht mehr als sechzig Leute Platz im Saal. Moment, ich überschlage die Einnahmen mal kurz im Kopf: Fünf Euro mal sechzig sind dreihundert. So viel nimmt Rita heute Abend ein, abzüglich dem
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