Leute, mein Herz glueht
Tetrapack-Rotwein, den sie für ein paar Zerquetschte bei Aldi gekauft hat. Der wird gerade von der dicken Dorle - der betrogenen Ehefrau von Gérard-Michel - per Tablett an die Gäste ausgeteilt.
»Noch ein Schlückchen guten Rotwein?«
Ich beuge mich zu Arthur rüber und flüstere: »Die haben morgen alle einen gehörigen Kater.«
Mein Freund, mit dem ich gerade zum ersten Mal geschlafen habe, grinst von einem Ohr zum anderen und nimmt meine Hand. Er drückt sie ganz fest, und ich fühle mich so, wie ich mich noch nie in meinem Leben gefühlt habe. Irgendwie so gereift. Es war definitiv eine seltsame Erfahrung, sich mit Arthur auf - ich sage mal: sexueller Ebene - zu vereinen. Also: Jemanden so dicht an sich ranzulassen und zu versuchen, sich ungefähr so zu bewegen, wie man es aus dem Fernsehen kennt - ohne dass es peinlich wird. Dabei musste ich mich ziemlich konzentrieren, sodass ich hinterher richtiges Kopfsausen hatte. Und meine Hüftgelenke tun auch weh, als hätte ich einen langen, beschwerlichen Ritt durch die Prärie hinter mir. Unter uns: So oft macht man ja auch nicht solche merkwürdigen Bewegungen und Verrenkungen. Da müssen sich die Gelenkpfannen erst mal dran gewöhnen. Ihr könnt es euch ja sicherlich vorstellen. Zum Glück habe ich mich ja bereits letztes Jahr selbst entjungfert. Mit so einem selbst geformten Tonpenis. Das tat vielleicht weh. Auf diese Peinlichkeit will ich jetzt allerdings lieber nicht weiter eingehen. Nur so viel: Darum hat es mir vorhin nicht mehr wirklich wehgetan. Was ich praktisch fand. Im Übrigen hatte Arthur einige Kondome unter seinem Kopfkissen liegen. Zuerst war ich verwundert. Ich dachte: »Hä? Warum liegen die denn da?« Und als hätte er meine Gedanken gelesen, hat er mit so einem schelmischen Seitenblick gemeint: »Tja, ich wusste ja, dass es irgendwann passieren wird. Da wollte ich vorbereitet sein.« Schick, oder? Ich mag Jungs, die Verantwortung übernehmen.
Hinterher hat er das Gummiding in ein Tempo-Taschentuch gewickelt und ist kurz runter aufs Klo gegangen. Ich will echt nicht unappetitlich werden, aber wenn ihr mal in eine ähnliche Situation kommt, werdet ihr es vermutlich genauso machen wie ich: Ich habe das Papiertaschentuch heimlich wieder auseinandergefummelt und mir das benutzte Kondom genau angesehen. Nicht weil ich das so romantisch fand: »Ah, da ist also das Sperma von meinem Freund drin!« Sondern um zu prüfen, ob das Gummi-Ding wirklich heil geblieben ist. Was ich jetzt nämlich gar nicht gebrauchen könnte, ist die Sorge, schwanger zu sein. Übermorgen werde ich mir definitiv die Pille verschreiben lassen. So viel ist mal klar. Obwohl Cotsch ja der Meinung ist: »Die Pille verändert deine Psyche. Man wird total aggro davon.« Aber woher soll Cotsch bitte wissen, dass ihre Aggressionen von der Pille herrühren - vielleicht sind diese wütend machenden Stoffe ohnehin bereits in ihr drin. Kann doch sein. Ich werde das für mich selbst herausfinden müssen.
Arthur drückt schon wieder meine Hand, und es kommen immer mehr Nachbarn hereinflaniert und nehmen ihre Plätze ein. Einige von ihnen klopfen ihm sogar zur Begrüßung auf die Schulter.
»Na, du Weltenbummler, wieder da?«
Oder: »Mensch, du bist ja braun geworden.«
Oder: »Hast du uns fürs Gemeindehaus ein paar landestypische Handarbeiten mitgebracht?«
Arthur lächelt nur dazu und schüttelt freundlich die Hände. Und immer wieder erklärt er: »Ich könnte einen Wandteppich mit der Moses-Geschichte anbieten.«
»Mensch, super! Das wäre doch was!«
Man merkt ganz deutlich: Die Leute stehen auf Arthur und seine soziale Ader. Ich bin echt richtig stolz auf ihn. Noch mehr gefreut hätte es sie allerdings, wenn er von einem Löwen verspeist oder von einem Menschenfresserstamm im Suppentopf überm offenen Feuer gegart worden wäre. Das hätte erst mal für ordentlich Gänsehaut und Gesprächsstoff gesorgt: »Oh Gott, der arme, arme Arthur! Er wurde von einem Löwen verspeist! Stell dir das mal vor!« Garantiert hätte die Bürgerinitiative überlegt, ob man ihm nicht sogar ein Denkmal setzen sollte: »Unserem Arthur, dem mutigen Entwicklungshelfer!«
Plötzlich und unerwartet klumpt sich alles in mir zusammen. Wollt ihr wissen, wieso? Weil ich ja später noch zu seinem Kontrahenten Johannes muss. Davon ahnt Arthur gar nichts. Der denkt, dass ich zur Feier des Tages bei ihm übernachten werde. Und wie ich gerade dabei bin, mir richtig schlimme Vorwürfe über mein unmoralisches
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