Leute, mein Herz glueht
Leben zu machen, kommen zu allem Überfluss Helmuth und Cotsch hereingeschneit. Automatisch teilt sich die Menge der noch rumstehenden Leute und alle schielen mit angehaltenem Atem zu ihnen rüber. Ich sage nur: apropos »unmoralisch«. Helmuth nickt höflich in die Runde und Cotsch stolziert mit hoch erhobenem Haupt durch die geteilte Menge vor ihm her.
Leute, ich muss sagen, sie ist mal wieder mit Abstand die Anmutigste! Sie hat ein enges schwarzes Glitzerkleid an, mit Schlitz bis zum Po hoch. Dazu trägt sie eine elegante Hochsteckfrisur, sexy High Heels und riesige Strass-Ohrgehänge. Man könnte echt denken, dass sie der Star des Abends ist. Totenstill ist es im Saal. Alle blinzeln von Cotsch zu Helmuth und dann rüber zu Gérard-Michel, der inzwischen mit seiner betrogenen Ehefrau Dorle in der letzten Reihe neben der opulenten Zimmerpalme Platz genommen hat.
Ich schlucke. »Ach du Kacke.«
Eilig quetscht sich Mama zwischen den Stühlen vor bis zum Flügel und versucht, Cotsch wieder rückwärts aus dem Wohnzimmer rauszudrängen. Ich schätze, sie will sich nicht später von Rita vorwerfen lassen, den Abend durch ihre missratene Tochter versaut zu haben. Aber meine Schwester klammert sich störrisch an Helmuths Arm fest. Sie zischt für alle gut hörbar: »Mama, lass das gefälligst.«
Und wie es wiederum die Art meiner Mutter ist, lächelt sie unverbindlich in die Runde und flötet mit dieser höher gepitchten Stimme: »Ich will nur etwas Wichtiges mit dir besprechen. Es hat was mit der Gesundheit deines Vaters zu tun.«
So ein Scheiß! Mama kann echt gar nicht lügen. Irgendwer murmelt mir dafür unüberhörbar über die Schulter: »Nutte!«
Mir ist natürlich klar, wer damit gemeint ist: meine Schwester Constanze. Also drehe ich mich mit meinem ultimativen Rächerblick um und registriere: Die neureiche Corinna hockt im hellrosa Piefkopf-Dress direkt hinter mir. Die ist ganz klar eifersüchtig auf so viel Glamour, den meine Schwester leichtfüßig versprüht. Neben Corinna hocken bräsig ihre neureichen, total ungebildeten Eltern. Die sehen echt aus wie zwei Fische. Aber der eine der beiden Fische - Herr Melms - macht gerade ziemliche Stielaugen in Richtung Cotsch. Dem läuft wohl das Wasser im Mund zusammen. »Träum weiter!«, kann ich da nur sagen. Der kann sich ganz hinten anstellen. Von so einem will Cotsch nichts. Da sagt sie dann immer nur: »Der ist unter meinem Niveau! Ich bin eine stilvolle Frau!« Recht hat sie.
Weiter hinten erhebt nun auch noch Dorle ihren voluminösen Körper und biegt die grünen Wedel der Topfpalme zur Seite. Sie brüllt mit überkippender Stimme, sodass ich denke, mir platzt gleich das Trommelfell: »Du Ehebrecherin! Verschwinde auf der Stelle! Oder ich rufe die Polizei!«
Aber Cotsch gibt nur so ein abfälliges Pustgeräusch von sich und meint mit ihrer typisch läppischen Handbewegung: »Na, dann mal los!«
Diese souveräne Reaktion bringt Dorle natürlich - wie man so schön sagt - vollends auf die Palme. Aber wie sie sich zwischen den Stuhlreihen entlangarbeiten will, greift Gérard-Michel schnell nach ihrem Unterarm und grinst debil. Das kann seine dritte Ehefrau gar nicht leiden. Mit Wucht reißt sie ihren speckigen Arm hoch und für einen Augenblick denken wir alle: Gleich zieht sie Gérard-Michel einen kräftigen Klaps über die Glatze. Leider passiert das aber nicht. Tatsächlich schafft es Gérard-Michel, sie wieder auf ihren Platz zu ziehen und ihr mit Engelszungen etwas zuzuraunen. »Vergiss das Flittchen!«, höre ich. »Sie hat doch nur meine Midlife-Crisis ausgenutzt!« Dazu muss ich sagen, Leute: Ich bin etwas enttäuscht von Gérard-Michel. Er ist nämlich von Berufs wegen Soziologie-Professor. Da redet man eigentlich anders über seine Mitmenschen. Weniger abfällig. Meine ich.
Dafür versucht Mama noch immer, Cotsch aus dem Wohnzimmer zu drängen. Schließlich legt ihr Helmuth beschwichtigend die Tennistrainerhand auf die Schulter und meint mit dieser Therapeutenstimme: »Herzchen, lass gut sein.«
So als hätte er Mama fachmännisch hypnotisiert, lässt sie sofort von Cotsch ab und taumelt wie in Trance zurück zu ihrem Platz. Da lässt sie sich wie ein nasser Sack hinplumpsen und ich tätschle ihr auch ein bisschen die Hand. »Reg dich nicht auf, Mama«, sage ich.
Witzig ist, dass Rita nicht weiß, was sie machen soll. Denn eigentlich ist sie als Veranstalterin für den reibungslosen Ablauf des Abends verantwortlich. Auf der anderen Seite sind
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