Leute, mein Herz glueht
ihr zahlende Gäste immer herzlich willkommen. Und darum kommt sich Helmuth nicht zu blöde vor, generös mit einem Fünfziger herumzuwedeln und laut in die Runde zu vermelden: »Das Musische liegt meiner hoch geschätzten Verlobten und mir sehr am Herzen.«
Dann klatscht er den Schein vor Susanna auf den Beistelltisch und Rita reißt ihn umgehend an sich und stopft ihn sich in ihren betagten Blusenausschnitt. Klar! Da will keiner ran. Da ist der Schein also bestens aufgehoben. Dazu tönt sie: »Mir auch, lieber Helmuth! Mir auch! Tretet ein!«
Und da die anderen Gäste bereits gezahlt haben, bleiben die einfach ebenfalls da und denken sich ihren Teil. Nur Corinna gibt hinter mir keine Ruhe. Die wispert ununterbrochen: »Seine Verlobte? Das glaubt er ja wohl selbst nicht. Die Nutte macht doch mit jedem rum.«
Jetzt reicht es mir aber. Mit stahlhartem Gesichtsausdruck drehe ich mich zu ihr und ihrer Fischfamilie um und sage mit ziemlich gefährlichem Unterton: »Das Gleiche sagt man über dich.«
Corinna und ihre Sippschaft sperren ihre Münder auf, aber es kommt kein Ton raus. Offenbar wissen sie nicht, was sie sagen sollen. Kein Wunder, so ungebildet, wie die sind. Also wende ich mich wieder um und der musische Abend kann beginnen. Arthur fängt einfach an zu applaudieren und alle machen erleichtert mit. Den Brauch hat er wahrscheinlich bei einem seiner vielen afrikanischen Feste rund ums Lagerfeuer gelernt: Gute Stimmung ist das Wichtigste. Und die kriegt man verlässlich durch rhythmisches Klatschen hin. Ich sage euch, Leute: Arthur ist mein Held. So viel ist mal klar.
Nur gut, dass Papa zu Hause geblieben ist. Der hätte bei dem ganzen Psychostress einen richtigen Föhn gekriegt. Als wir vorhin aufgebrochen sind, hat er nur gemeint: »Dem Nachbarschaftsgerangel setze ich mich nicht aus. Hinterher will Rita sich wieder mit mir duzen.« Manchmal weiß Papa echt, was das Beste für ihn ist. Ich wünschte, ich hätte auch so einen klaren Blick auf mein Leben. Vermutlich hat Mama recht, wenn sie sagt: »Lelle, du musst lernen, dich in Geduld zu üben.« Dann würde ich nicht dauernd Dinge anzetteln, die ich hinterher bereue.
Cotsch und Helmuth pflanzen sich würdevoll auf die letzten freien Plätze in der Nähe des neu angebauten Wintergartens und Cotsch zieht aus ihrer kleinen Lacktasche ein Opernglas. Das hält sie sich wie eine echte Diva vor ihre Virginia-Woolf-Nase. Sehr edel, Constanze. Meine Schwester weiß, wie das mondäne Leben funktioniert.
Gleich darauf kommt Alice aus der Küche gestrauchelt, verbeugt sich huldvoll vor dem Publikum und klemmt sich in ihrem abgedrehten Rüschenkleid und den albernen Kniestrümpfen an den Flügel. Da verbeugt sie sich noch mal gnädig lächelnd nach allen Seiten, als sei sie Wolfgang Amadeus Mozart, wie er leibt und lebt. Schließlich, als es ganz still ist, tippt sie eine Taste an. Die höchste, die der Flügel zu bieten hat. Den Ton lassen wir auf uns wirken, bis er uns ganz durchdrungen hat und unsere inneren Organe tüchtig vibrieren. Alice - das muss ich sagen - hat’s auf ihre Weise auch drauf. Chapeau! Sie wirft ihren Kopf nach hinten, dann plötzlich wieder nach vorne, wieder nach hinten und dann volle Pulle nach vorne bis knapp auf die Tasten. Dabei stöhnt sie total rum, bevor sie endlich die nächste Taste drückt. Der Ton trifft uns wieder voll ins Mark. Ich und die Nachbarn erschauern. Nur Arthur schiebt seinen Turnschuhfuß dicht an meinen Turnschuhfuß, und ich weiß genau, was er mir damit sagen will: »Lelle! Egal wie bescheuert die anderen sind - wir gehören zusammen!«
Leute, ich sage euch: Mein Herz glüht!
14
L eute, es ist zehn Uhr abends. Das virtuose Klavierkonzert ist so gut wie vorbei. Das heißt, die inzwischen total zerzauste Alice hat den letzten Ton verklingen lassen und sich mehrfach in alle Himmelsrichtungen verbeugt, sodass unser Applaus immer wieder aufbranden musste, bis unsere Handflächen glühten. Und Rita hat sich mit einem Klingelbeutel durch die Reihen gedrückt, um Moneten für die Zugabe einzusammeln. Danach hat Alice noch mal was von Vivaldi zum Besten gegeben, bis in der ersten Reihe einer der älteren Herrschaften sich in Richtung Toilette verdrückt und seiner Frau zugeraunt hat: »Du weißt ja, was passiert, wenn ich nicht rechtzeitig …«
Jetzt quetschen sich Mama, Cotsch und Helmuth mit den anderen Nachbarn im hell erleuchteten Wintergarten zwischen den üppigen Zimmerpalmen rum und schütten sich gierig den
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