Leute, mein Herz glueht
der feuchte Nebel auf. Arthur und ich bleiben im hell erleuchteten Eingang zur Villa stehen und wissen nicht, was wir sagen sollen. Nur unser Atem bewegt sich als feiner Hauch in der tiefblauen Luft. Durch die Scheiben des Wintergartens sehen wir unsere Nachbarn mit Rotweingläsern hinter Topfpalmen, wie sie sich zuprosten und immer lauter lachen. Die sind jetzt richtig besoffen. So viel ist mal klar.
Arthur nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich auf die Nasenspitze. »Meine Lelle.«
Ich hickse: »Mein Arthur.«
Er streicht mir das Haar aus der Stirn, wie einer, der gerade aus dem Krieg zurückgekommen ist und es noch immer nicht fassen kann, sein Liebchen wieder mit sämtlichen Gliedmaßen in die Arme schließen zu können. Ich grinse und meine Pupillen schlagen Purzelbäume. Ein bisschen übel ist mir auch. Eigentlich wäre es jetzt angezeigt, sich kurz mal hinzulegen, bis der schlimmste Rausch vorbei ist.
Arthur scheint ein Gespür dafür zu haben. Er zieht mich an sich und meint: »Dann holen wir mal mein Moped. So jedenfalls kannst du nicht mehr allein zu Alina mit dem Rad fahren. Hinterher zerrt dich noch jemand hinter den nächsten Busch und berührt dich unsittlich.«
15
T ja, Leute, was macht man da? Die Nacht ist jung. Ich habe Arthurs dunkelblauen Kapuzenpulli an und er hält mich warm. Schönes Ding! Wir flitzen auf seinem Moped um die Häuser, alles ist ruhig, niemand stellt sich uns in den Weg. Kein Wunder. Die Freaks hängen ja auch alle angeschwippst bei Weidemanns im Wintergarten rum und genießen den billigen Tetrapak-Fusel. Bis auf Papa. Der hängt garantiert bei uns im Keller rum und putzt seine Schuhe oder repariert irgendeins seiner heiligen Möbel, das bei einem von Cotschs Wutanfällen Blessuren davongetragen hat. Der hat’s gut. Der hat sein Hobby gefunden. Papa weiß, was ihn ausfüllt. Der genügt sich selbst. So weit will ich auch mal kommen - wobei Mama das ja alles andere als gut findet. Die sagt andauernd: »Ich bin Bernie eben egal. Was soll ich machen?« Und dann weint sie und putzt sich mit einem Stückchen Klopapier die Nase.
Ich presse meinen Brustkorb an Arthurs schmalen Jeansjackenrücken mit dem aufgenähten Adler. Die Jeansjacke besitzt er, seit ich ihn kenne. Und genau wie jetzt gerade haben wir schon mal vor eineinhalb Jahren hintereinander auf seinem Moped gesessen. Als wir uns gemeinsam auf die Suche nach Cotsch gemacht haben. Das war die Nacht, in der Arthur meiner Schwester quasi das Leben gerettet hat und wir uns dadurch nähergekommen sind. In dieser Nacht habe ich mich so was von in Arthur verliebt, und gerade kommt es mir so vor, als sei ich auf magische Weise wieder in genau dieser Nacht gelandet, und ich wundere mich, wie es sein kann, dass sie einen ganz anderen Verlauf nehmen wird als damals. Denn wir fahren nicht nach Forst, um Cotsch - wie damals - aus dieser fiesen Billardspelunke zu ziehen, sondern in Richtung Alinas Heim, obwohl ich ja eigentlich in Richtung Johannes muss. Der wartet schon sehnsüchtig auf mich. Nur weiß Arthur das nicht. Der denkt, ich muss zur niedergeschmetterten Alina und er tut mir gerade einen richtig großen Gefallen. Mitnichten. Sobald ich bei Alina bin, muss ich Johannes anrufen und ihm sagen, dass unsere existenzielle Unterredung leider bis morgen warten muss. Und morgen werde ich Arthur dann wieder anlügen müssen, dass ich irgendwohin gehe, wo ich in Wirklichkeit gar nicht hin gehe. Und so weiter und so fort. Und leider bin ich selbst so angeschickert in der Birne, dass es mir kaum möglich ist, einen klaren Gedanken zu fassen. Der einzige, der mir immer wieder durchs Hirn saust, ist, dass mein genialer Plan so was von gar nicht funktioniert.
Was lernen wir daraus? Keinen Alkohol trinken vor wichtigen Terminen! Schreibt euch das hinter die Ohren, Leute. Ihr habt es gut. Ihr könnt euch einige von meinen schlimmsten Erfahrungen sparen, weil ich sie gleich für euch mitmache. Praktisch, was? Meine Arme schlinge ich um Arthurs Brustkorb. Vorne, auf seiner Brust, treffen sich meine Hände und klammern sich krampfig aneinander. Ich habe keinen Helm auf! Wenn das Mama wüsste! Die denkt doch, dass man bei jedem Sturz einen Schädelbruch erleidet und stirbt. Aber Arthur hat gemeint, ich soll mich an ihm festhalten. Ich vertraue ihm. Er weiß immer, was er tut. Und wenn er meint, dass er mich auch ohne Helm heil zu Alina bringen kann, dann tut er das auch.
Die große Frage ist nur: Was will ich da? Ich werde
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