Level 26 – Dunkle Offenbarung
auffällige Zahnreihen zeigte, und dankte den Gastgebern.
Die Konferenz wurde live übertragen, von einem weltweiten Nachrichtensender sowie von Dutzenden Newsseiten im Internet, und die Vertreter der Medien vor Ort spitzten mit einem Mal die Ohren. Die Reihen der Kameraleute, der Fotografen und der Reporter regten sich. Jetzt, endlich, würden Macht und Wahrheit zueinander sprechen. Und sie alle wussten, wenn sie Glück hatten, würden sie Senator Ayres bei irgendeiner Peinlichkeit ertappen, die ihm die Schamesröte ins Gesicht trieb – bei einem offenkundigen Fehler oder einer unglücklich gewählten Formulierung. Bei irgendetwas, das im günstigsten Fall für die nächsten vierundzwanzig oder gar achtundvierzig Stunden Stoff für die Nachrichten liefern konnte.
»Ich danke Ihnen sehr, dass Sie mich hier in Ihrer Mitte empfangen«, sagte Senator Ayres. »Ich bin froh und fühle mich geehrt, dass ich in diesem schönen Land bei Ihnen sein darf.«
Dark und Natasha standen ganz hinten in dem ansteigenden Saal, von wo aus sie den bestmöglichen Ausblick hatten; O’Brian hielt sich bei den Reportern und Fotografen auf, nur für den Fall, dass Labyrinth eine seiner Marionetten unter die Pressevertreter geschmuggelt hatte.
»Ich glaub das nicht.«
Natasha stieß Dark an. Sie hielt ihren Tablet-PC in die Höhe. Auf dem Bildschirm lief ein Videostream, der genau das anzeigte, was jeder im Saal live sehen konnte: Senator Ayres, wie er zu den Delegierten sprach. Aber die Übertragung beinhaltete noch etwas, das die Zuschauer im Saal nicht sahen.
Einen eingeblendeten Lügendetektor.
Während Senator Ayres sprach, erschien in fetten, roten 72-Punkt-Helvetica-Buchstaben plötzlich ein einzelnes Wort auf dem Bildschirm:
LÜGNER
Die kleine Anzeige in der unteren rechten Ecke des Bildschirms zuckte ebenfalls in den roten Bereich.
»Wo kommt das her?«, fragte Dark. »Diese Seite? Eine Satire vielleicht?«
»Nein.« Natasha wechselte auf einen anderen Feed. Derselbe Lügendetektor. Sie wechselte erneut, zu einer anderen Übertragung, dieses Mal bei einem bekannten konservativen Nachrichtensender. Wieder derselbe Lügendetektor, diesmal sogar über den eigenen Bildschirmrahmen und der Nachrichtenzeile des Senders eingeblendet.
»Wie macht er das?«, fragte Dark.
Senator Ayres, der natürlich keine Ahnung hatte, dass seine Worte auf ihre Aufrichtigkeit hin bewertet wurden, fuhr mit den einleitenden Worten seiner Rede fort. »Wir glauben an die stete Ausbreitung der Freiheit, damit schließlich alle Menschen sie genießen können.«
Kommentiert auf dem Bildschirm, in womöglich noch größeren Buchstaben:
LÜGNER
Die Reporter und Kameraleute, die das Geschehen auf ihren eigenen Monitoren verfolgten, bemerkten ebenfalls, was geschah. Ein Murmeln breitete sich aus, Mobiltelefone wurden aus den Gürteltaschen gezogen. Senator Ayres konnte die leichte Unruhe nicht länger ignorieren und warf einen kurzen Blick zu den Medienvertretern. Dann aber erinnerte er sich wieder daran, wo er war und was er tat. Sein breites Lächeln blitzte wieder auf, und er wandte seine Aufmerksamkeit erneut den Delegierten zu.
»Und zu diesem beständigen Streben nach Freiheit gehört auch, die ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser für alle Bewohner unseres Planeten sicherzustellen. Mehr als fünfunddreißigtausend Menschen sterben jeden Tag an Krankheiten, die auf Mangelernährung zurückzuführen sind, und deswegen hat meine Regierung sich auch von Beginn an dafür eingesetzt, die Ursachen und die Folgen des Hungers besser zu verstehen …«
LÜGNER
Das Wort hatte sich inzwischen überall in der Halle verbreitet – die Schwarmintelligenz der modernen Medien lief auf Hochtouren. Die Delegierten blickten einander verwirrt an. Die Kameraleute konnten sich nicht dazu aufraffen, ihre Ausrüstung von Senator Ayres abzuwenden, aber sie überprüften ihre Leitungen und sahen nach, ob etwas mit angeschlossen war, das dort nicht hingehörte. Auch die Helfer des Senators hatten mitbekommen, was da vor sich ging. Eine Gruppe von drei jungen Männern in dunkelgrauen Anzügen huschte gebückt in Richtung des Rednerpults, um den Senator so diskret wie möglich zu unterbrechen.
»Scheiße«, sagte Dark. »Es geht los.«
»Was?«, fragte Natasha. »Siehst du etwas?«
»Nein. Ich fühle es.«
Mit diesen Worten lief Dark los, den Mittelgang zwischen den abschüssigen Sitzreihen entlang, angetrieben von dem nagenden Gefühl in seinem
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