Level X
gekommen, den Mantel über dem A r m , das Gepäck zu seinen Füßen.
Dann entdeckte ich Anne, die sich an ihm vorbeidrängte, die Augen fest auf m i ch gerichtet, während sie eilig auf m i ch zuk a m. All die Dinge, die m i ch an ihr verunsichert hatten, als ich sie das letzte M a l gesehen hatte, bereiteten m i r nun kein Kopfzerbrechen m ehr. Jetzt ergab das alles einen Sinn, sofern Sinn das richtige W ort ist; es war zu m i ndest das Einzige, das m i r da m als einfiel. Die Vorstellung, dass all der U n sinn plötzlich einen Sinn ergab, ließ m i ch unver m ittelt l a ut au f l ach e n. Annes Gesicht, das von Sorgenfalten bereits stark g ezeich n et war, nahm ei nen alar m i erten Ausdruck an, sodass ich m i ch augenblicklich schuldig fühlte. Ich drückte sie fest an m i ch, b e m ü ht, ihren o f fensichtlichen Sch m erz m it der tiefen Gelassenheit, die m ich überkom m en hatte, zu lindern.
»Du m usst die Kleider zurückgeben. Ich habe das m it dem Geld geregelt, und sie verzichten darauf, eine Anklage wegen Diebstahls gegen dich zu erheben.« Nur langsam be m erkte ich, dass Harold m it m i r sprach.
»Aber was soll ich anziehen ? «, hörte ich m i ch selbst im erschrockenen Tonfall eines vollkom m en v e rnünftigen Mannes fragen, von dem etwas vollkom m en Unvernünftiges verlangt wird.
»Keine Sorge, darum werden wir uns schon küm m ern. Sag einfach nur, dass du zustim m st.«
»Natürlich stim m e ich zu«, erwiderte ich und fügte hinzu:
»Ich habe sie nur genom m en, um …«
»Kein W ort m ehr«, unterbrach Ha r old m i ch mitten im Satz und hob abwehrend eine Hand. »Mehr will ich im Augenblick nicht hören.« Er d r ehte sich um und setzte seine Verhandlungen am Schalter f ort.
Ich sah auf Anne hinab, und sie begegnete m einem Blick m it einer Mischung aus Sorge und Verwunderung über m eine offensichtliche Ruhe.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte ich. »Ich bin nicht verrüc k t. Ich erkläre euch später alles.«
Natürlich war das genau das, was ich nicht konnte:
»alles erklären«. Ich konnte beschreiben, was geschehen war – was noch immer geschah –, aber ich konnte es nicht erklären. N och nic h t. Oder gab e s vi e ll e ic h t gar keinen Unterschied zwischen beide m ? In jenem Augenblick m achte ich m i r darum keine weiteren Gedanken. Alles, was ich empfand, war eine im m ense Erleichterung, dass m ein Verstand funktioniert e . »Es wird schon werden«, sagte ich m i r. »Nur schön einen Schritt nach dem anderen, und du wirst schon aus dieser verzwickten Lage herauskom m en.«
Jet z t, im Rückblick, e r s cheint es m i r erneut so, als hätte ich da m als einfach nicht den Mut gehabt, an weiter reichende K onsequenzen zu denken. Hätte ich es getan … nun, ich befand m i ch im Zustand eines prekären Gleichgewichts, und die Gefahr, dieses Gleichgewicht und da m it m einen Verstand zu verlieren, war groß. Es war selt s a m , aber ir g endwie auch faszinierend, m i ch so zwischen zwei W elten gef a ngen zu sehen. Oder, um genauer zu sein, zwischen vier W elten: der, aus der ich gekommen war, und der, in der ich m i ch befand, sowie der Welt der Vernunft und der des W ahnsinns.
Harold kam zurück, zog uns beide ein wenig zur Se i t e und erklärte uns m it knappen W or t en und in gedä m p ft e m Ton f all, was zu tun war. Es war ein beruhigendes Gefühl, ihn in der Nähe zu wissen und die Dinge regeln zu lassen. Nicht zum ersten Mal be m er k te ich, was für ein guter Anwalt er war – und was für ein guter Freund.
»Ich glaube, ich kann eine Einigung erzielen, sodass die Anklage wegen Hausfriedensbruch fallen gelassen wird und du – möglicher w eise – in Annes Obhut entlassen wirst. Aber du wirst einige Fragen beantworten m üssen. Ein Freund von m i r ist a u f dem Weg hierher, ein Psychologe. W enn du i hn davon überzeugen kannst, dass du bei klarem Verstand bist, kön n en wir eine einstweilige Verfügung erwirken – ich habe bereits mit Richter Strickland telefoniert –, und du kannst nach Hause gehen.« Er sah m i ch eine W eile prüfend an.
» W irst du das hinkriegen ? «
»Natürlich«, versicherte ich ih m . »Danke, Harold.«
Er nickte und ging zurück zum S c halter, an dem sich langsam immer m ehr Menschen versammelten. Ich entdec k te den Arzt m it d em B ü rstenschnitt unter ihnen. E r hatte den K ragen seines Mantels hochgeschlagen, sodass sein h a lbes Gesicht v e r deckt war. Hinter ihm stand d e r Mann, der m i r gedroht hatte, m i ch
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