Leviathan - Die geheime Mission
Tür traten zwei junge Eierköpfe in weißen Mänteln, die eine lange Kiste trugen. Die Männer stellten sich Deryn nicht vor. Sie waren vollkommen darauf konzentriert, mit kleinen vorsichtigen Schritten voranzugehen, als wäre die Kiste voll mit Schießpulver und bestem Porzellan. Zwischen den Brettern ragten Strohhalme durch die Ritzen.
Kein Wunder, dass die Leviathan mitten in London landete: Die geheimnisvolle Fracht war zu zerbrechlich, um mit einem Pferdewagen transportiert zu werden.
Deryn trat vor und wollte helfen, zögerte jedoch, da sie einen Hauch von Hitze aus der Kiste spürte.
»Ist da etwas Lebendiges drin?«, fragte sie.
»Das ist ein Militärgeheimnis«, sagte der jüngere der beiden Eierköpfe.
Ehe Deryn antworten konnte, stürmte Dr. Barlow aus dem Torhaus, mitgerissen von der eigenartigsten Tierschöpfung, die Deryn je gesehen hatte.
Das Wesen sah aus wie ein glänzender brauner Hund mit langer Schnauze und Tigerstreifen am Rumpf. Es zerrte an der Leine und schnüffelte an Deryns ausgestreckter Hand. Während sie den Kopf streichelte, stellte sich das Tierchen auf die kräftigen Hinterbeine und hüpfte auf der Stelle.
Hatte das Tier womöglich einen Micker Känguru in seinen Lebensketten?
»Tazza mag Sie wohl«, sagte Dr. Barlow. »Eigenartig. Sonst ist er immer so schüchtern.«
»Er ist sehr … begeisterungsfähig«, sagte Deryn. »Aber, verdammt, wofür ist er gut?«
»Wofür?« Dr. Barlow runzelte die Stirn. »Was meinen Sie damit, Mr Sharp?«
»Na ja, er sieht nicht aus wie ein Wasserstoffschnüffler. Ist er ein tigerartiger Wachhund?«
»Ach, Himmel!« Die Frau lachte. »Tazza ist keine Schöpfung und er ist für überhaupt nichts gut . Außer dafür, mir auf Reisen Gesellschaft zu leisten.«
Deryn zog die Hand zurück und wich einen Schritt nach hinten. »Sie meinen, das Tier ist natürlich? «
»Er ist ein absolut gesunder Beutelwolf.« Dr. Barlow bückte sich und kratzte das Tier zwischen den zuckenden Ohren. »Für gewöhnlich unter dem Namen Tasmanischer Tiger bekannt. Obwohl der Vergleich mit einer Katze doch ein bisschen beleidigend ist, nicht wahr, Tazza?«
Der Beutelwolf gähnte und brachte die langen Kiefer so weit auseinander wie ein Alligator.
Dr. Barlow machte wohl Scherze. Das Tier sah ganz und gar nicht natürlich aus. Und sie nahm es als Haustier mit? Tazza wirkte schwer genug, um wenigstens einen unglücklichen Kadetten seinen Platz auf dem Schiff zu kosten.
Allerdings erschien es ihr nicht sehr diplomatisch, Dr. Barlow darauf hinzuweisen, also räusperte sich Deryn nur und sagte: »Vielleicht sollten wir zum Landeplatz gehen, Ma’am. Das Schiff ist in Kürze unten.«
Dr. Barlow deutete auf einen Schrankkoffer neben der Tür des Torhauses. Darauf stand ein zugedeckter Vogelkäfig. »Wenn Sie so freundlich wären, Mr Sharp.«
»Ja, Ma’am«, sagte Deryn und seufzte. Sie nahm die Reisetasche unter einen Arm und den Vogelkäfig in dazugehörige Hand. Der Schrankkoffer wog fast so viel wie sie selbst (noch ein Kadett, der sich von Bord verabschieden durfte), aber Deryn gelang es, ihn mit der freien Hand an einem Ende anzuheben und hinter sich herzuschleifen. Zu viert – plus Tazza, dem Beutelwolf – machten sie sich zum Park auf, wobei die beiden Eierköpfe die Kiste im Schneckentempo trugen.
Unterwegs zum Luftschiff murmelte Deryn vor sich hin. Es war eine Sache, seine Koje für einen berühmten Eierkopf auf geheimer Mission räumen zu müssen, doch falls so ein dummes Tier namens Tazza ihren Platz einnehmen sollte, hatten wirklich brüllende Spinnen die Weltherrschaft übernommen.
Dr. Barlow schnalzte mit der Zunge. »Das Luftschiff sieht aber unglücklich aus.«
Die Leviathan schwebte noch immer ungefähr fünfzig Fuß hoch in der Luft, denn der Kapitän ließ sie mit unendlicher Geduld landen. Die Wimpern, die sogenannten Zilien, an der Seite waren aufgestellt, und Schwärme von Vogelschöpfungen flatterten durch den Park, da sie die Nervosität des Luftschiffes aus ihren Nestern scheuchte.
Warum war das große Tier denn so nervös? Deryn schaute hinauf und erinnerte sich an den Wind, der ihre Karriere beim Air Service beinahe noch am ersten Tag beendet hätte. Doch am Himmel zeigte sich kein Wölkchen. Vielleicht waren es die Gaffer, die den Landeplatz umstellt hatten und deren Sonnenschirme so hell leuchteten?
»Meine Fracht muss äußerst sanft befördert werden, Mr Sharp.«
»Das ist kein Problem, sobald wir abgehoben haben«,
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