Leviathan - Die geheime Mission
blaue Flecken und kleinere Brandwunden und das Leder seiner Uniform stank wie verbranntes Fleisch. Er hoffte nur, unter seinem Vorrat an Familienerbstücken und sinnlosen Geheimnissen befände sich auch so etwas Nützliches wie eine Brandsalbe.
Während sich Alek durch die Luke hinabließ, riss Volger die Augen auf und starrte auf die versengten Haare und die rauchende Uniform. »Alles in Ordnung?«
»Mir geht’s bestens«, sagte Alek und ließ sich in den Kommandantenstuhl sinken. »Hauptsache, Sie laufen weiter.«
Die Berge vor dem Sehschlitz erhoben sich steil in die
Höhe. Die Grenze konnte nicht mehr fern sein; der Himmel wurde nicht mehr von Leuchtkugeln erhellt. Bald würden sie wieder in wohlwollende Dunkelheit gehüllt sein.
Erneut donnerten die Geschütze der Fregatte, doch die Granaten schlugen weit hinter ihnen ein, und der Sturmläufer setzte seinen Weg unbehelligt fort. Die Deutschen schossen auf das Schwert seines Vaters.
Alek lächelte – so viel zum Thema deutsche Geheimwaffen.
Er ließ seine Augen zufallen. Nach einem Monat auf der Flucht konnte er sich endlich ausruhen. Vielleicht würde sein Leben bald wieder einen Sinn ergeben, nachdem der Sturmläufer ihn in Sicherheit gebracht hätte.
Für die nächste Zukunft würde es hoffentlich keine Überraschungen mehr geben.
19. KAPITEL
»Ich würde gern Ihre Bienen sehen, Mr Sharp.«
Deryn sah müde von ihrem Skizzenblock auf und legte den Bleistift zur Seite. Ihre letzte Wache des Tages war gerade zu Ende gegangen – vier nervöse Stunden lang hatte sie nach deutschen Luftschiffen Ausschau gehalten -, doch Dr. Barlow schien nie zu schlafen. In ihrem Reisemantel und mit dem Bowlerhut sah sie wie aus dem Ei gepellt aus. Tazza tänzelte an ihrer Seite und erkundete mit viel Freude das Schiff.
» Meine Bienen, Ma’am?«
»Muss das sein, Mr Sharp? Natürlich meine ich die Bienenkolonien der Leviathan. Malen Sie immer, während Sie sich rasieren?«
Deryn sah auf die Rasierklinge in ihrer Schale und erinnerte sich, dass ihr halbes Gesicht mit Schaum bedeckt war. Sie hatte gewartet, bis jemand die Kabinentür aufmachte und das Schauspiel mitbekam. Doch nach einigen Minuten hatte sie es aufgegeben, vor dem Spiegel zu posieren. Selbst die Zeichnungen aus dem Kapitel im Handbuch der Aeronautik über thermische Inversion waren interessanter als vorzutäuschen, man rasiere sich.
Sie wischte sich das Gesicht mit einem Handtuch ab. »So ist das Leben eines Kadetten. Immer lernen … und Eierköpfe herumführen, versteht sich.«
»Versteht sich«, meinte Dr. Barlow süßlich. In den beiden Tagen, seit sie an Bord war, hatte sie praktisch jeden Zoll des Luftschiffes erkundet und Newkirk und Deryn von oben nach unten und von Deck zu Deck geschleift. Sie hatte sogar die Huxley-Kolonie im Darm der Leviathan besichtigt. Diese Aufgaben konnte Deryn leider an niemanden abschieben.
Dank Dr. Barlows Beutelwolf, ihrer umfangreichen Garderobe und der mysteriösen Fracht, die sicher im Maschinenraum untergebracht war, reisten nur noch zwei Kadetten an Bord mit.
Deryn vermisste die anderen, wenn auch vor allem als Gesellschaft bei den Höhenmessungen und beim Füttern der Flechet-Fledermäuse. Eine Sache allerdings – abgesehen davon, dass Pennbruder Fitzroy sie nicht mehr nervte – war wunderbar: Sie und Newkirk hatten jetzt jeder eine Kabine für sich allein. Dr. Barlow war allerdings bei ihren Eierkopfstudien bislang anscheinend nicht auf das Phänomen der Privatsphäre gestoßen.
»Komm, Tazza«, murmelte Deryn und nahm die Leine des Tierchens, während sie in den Gang trat.
Sie führte Dr. Barlow die Treppe am Heck hinauf zum obersten Deck der Gondel. Hier schliefen die Takler und Segelmacher, obwohl Deryn schleierhaft war, wie ihnen das gelang, denn aus den Verdauungstrakten des Flugtieres
zog unablässig ein Geruch nach vergammelten Zwiebeln und Kuhfürzen in ihr Quartier.
Die dienstfreie Wache schaukelte zu beiden Seiten des Gangs in ihren Hängematten, und manche schmiegten sich an ihre Wasserstoffschnüffler, weil sie es so wärmer hatten. Die Leviathan kreuzte in achttausend Fuß Höhe, was hoffentlich zu hoch war für die deutschen Luftschiffe, die ihnen den ganzen Tag hinterhergeschlichen waren, und die Luft hier oben war schweinekalt.
Die Takler beachteten Dr. Barlow oder den Beutelwolf nicht. Die Schiffsoffiziere hatten verkündet, dass jeder, der sich wegen des weiblichen Passagiers an Bord aufregte, bestraft wurde. Aber derzeit hatte man
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