Leviathan - Die geheime Mission
Gestalt auf dem Seil vor ihr, ein Knoten oder eine Mangelstelle in der Leine. Bei dieser Geschwindigkeit konnte sie sich die Handgelenke brechen, wenn sie an einem Knoten hängen blieb, oder schlimmer noch: Möglicherweise würde der Riemen reißen.
Dann erkannte Deryn, was es war: die Boteneidechse, die zum Schiff unterwegs war.
»Aus dem Weg, Eidechssssse!«, schrie sie.
Im letzten Augenblick hörte das Tierchen sie und sprang senkrecht in die Luft! Deryn zischte vorbei und
drehte sich ein wenig, um über die Schulter zu schauen. Die Eidechse landete auf dem Seil, schlang die Klebefüße darum und schrie unzusammenhängende Warnungen, während Deryn davonsauste.
»Tut mir leid, Tierchen!«, rief sie und wandte sich wieder dem Luftschiff zu.
Das so unglaublich schnell auf sie zukam.
Sie versuchte abzubremsen und ließ die Beine baumeln, um den Luftwiderstand zu erhöhen. Wenigstens war die Membran weich und nicht stramm aufgeblasen. Die Flanke war nur noch Sekunden entfernt, Schnüffler und Takler kletterten eilig aus dem Weg. Deryn wand sich aus den Riemen um die Handgelenke …
… und ließ in der allerletzten Sekunde los.
Die Membran hüllte sie mit einem lauten Ploppen ein. Einen Augenblick lang lag sie atemlos und benommen da, eingeschlossen in die warme, behagliche Haut des Flugtiers.
Dann rollte sie sich auf den Rücken herum. Ihre Ohren klingelten vom Aufprall. Ein neugieriger Schnüffler steckte ihr die Nase ins Gesicht.
»Autsch«, beschwerte sich Deryn bei ihm. »Das tat weh.«
Das Tier schnüffelte an ihr herum und bellte besorgt. Offensichtlich war beim Aufprall ein Leck entstanden. Hände reckten sich ihr entgegen, zogen sie hoch und brachten sie auf die Beine.
»Alles in Ordnung, Junge?«
»Gleitender Notabstieg.«
»Aye, danke«, sagte sie und sah sich nach einem Offizier um. Aber keiner war erschienen, um ihre Meldung entgegenzunehmen. Die Takler in ihrer Nähe waren beschäftigt, der Rest der Mannschaft hatte sich unten verteilt. »Ist er schon in Sicht?«
»Dieser Apparat, meinen Sie?« Der Takler drehte sich um und blickte hinaus in den Schnee. Am Horizont sah man in regelmäßigem Rhythmus den Micker einer Spiegelung, genau im Takt des Läufers. »Das soll ein großer sein, stimmt’s?«
»Aye, ganz richtig«, sagte Deryn und eilte nach unten.
Während sie auf wackeligen Beinen über die Membran rannte, hoffte sie, dass Alek noch bei den Eiern war. Würde er sich denken können, was das trötende Alarmhorn zu bedeuten hatte, und würde er einen Fluchtversuch unternehmen? Oder würde irgendein schafsköpfiger Offizier angesichts des anmarschierenden Feindes den Beschluss fassen, ihn wieder einzusperren?
Je schneller sie ihn aufspürte, desto besser.
Als sie ein Gewirr von Webeleinen sah, die quer über die Hauptgondel hingen, beschloss Deryn, gar nicht erst die Treppe zu benutzen. Sie kletterte an den Seilen hinunter und schwang sich durch ein zerbrochenes Fenster ins Innere. Glasscherben bohrten sich in ihren Fliegeranzug, aber das dicke Leder riss sie aus dem Rahmen, und rutschend landete Deryn auf den Füßen.
In der Gondel herrschte keineswegs Chaos, sondern
organisierte Dringlichkeit. Ein paar Männer, die kleine Waffen trugen, rannten vorbei. Ein Chor Bootsmannspfeifen rief die Falkenpfleger zusammen.
Luftgewehre und Aeroplannetze gegen einen Panzerläufer? Damit hatten sie nicht die geringste Chance! Der Maschinenraum befand sich am Ende des Korridors. Sie rannte hin.
»Mr Sharp!«, sagte Dr. Barlow aus der Dunkelheit. »Was hat die Aufregung zu bedeuten?«
Im nächsten Moment hatten sich Deryns Augen an das Dämmerlicht gewöhnt. Da war er und kniete neben der Frachtkiste.
»Alek!«, rief sie. »Deine Familie!«
Er stand auf und seufzte. »Wie ich erwartet habe.«
»Haben Sie einen Unterhändler geschickt?«, wollte Dr. Barlow wissen.
»Die haben eine brüllende Kriegsmaschine geschickt!« Deryn beachtete die Miene der Wissenschaftlerin nicht, sondern packte Alek am Arm und zerrte ihn aus dem Maschinenraum.
Nachdem sie ihn in den Korridor gezogen hatte, rannte er aus eigenem Antrieb weiter. Sie führte ihn zum unteren Deck.
»Ich habe mir schon gedacht, dass sich Volger für ein direktes Vorgehen entscheidet«, sagte er, während sie die Treppe hinaufstiegen.
»Na ja, ich finde, du hättest auch direkt erwähnen können, dass deine Familie einen brüllenden Läufer besitzt.«
»Hättest du mir denn geglaubt?«
»Ich weiß noch immer nicht, ob ich es
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