Leviathan - Die geheime Mission
Kette durch den Ring rutschen, und der Läufer wäre frei.
Aber die Kette war aus massivem Eisen und jedes einzelne Glied so groß wie eine von Deryns Händen. Sie entschied sich für die rechte Seite des Schlittens. Die Schweißnaht sah dort nicht so gründlich aus und das Holz am Schlitten war mit Metalltropfen bedeckt. Sie packte dick Schnee um die Verbindung zur Kette. Hoffentlich hatte Alek recht und Metall wurde tatsächlich durch Kälte brüchig.
»Also schön«, sagte sie und hob die Axt. »Brich!«
Der erste Hieb prallte schlaff ab. Die Kette hing zu sehr durch und der größte Teil des Schlags wurde abgedämpft.
»Dafür haben wir keine Zeit!«, rief sie und blickte zum Horizont. Inzwischen konnte man die Abzeichen auf den Luftschiffen erkennen: Das Eiserne Kreuz prangte auf den Heckflossen. Silbrig leuchtete die Zeppelinhaut in der Morgensonne.
»Mr Sharp«, rief Dr. Barlow, die den Kopf aus der Luke des Sturmläufers steckte. »Können wir irgendwie helfen?«
»Aye«, schrie Deryn. »Stramm ziehen!«
Dr. Barlow verschwand und einen Moment später heulten die Motoren des Sturmläufers auf. Nach einem einzigen Schritt waren die Ketten straff gespannt. Der Schlitten verschob sich ein wenig. Deryn packte wieder Schnee um die Nahtstelle.
Der nächste Schlag traf das unnachgiebige Metall mit voller Wucht und sie spürte den Aufprall bis hoch in die Arme. Sie sah sich die Kette an: In einem der Glieder war eine Kerbe entstanden, in der Axt allerdings auch. Die Kette war jedoch nicht aufgebrochen.
»Pusteln und Karbunkel!«
»Und?«, rief Dr. Barlow.
Deryn antwortete nicht, sondern schwang erneut die Axt, so heftig sie konnte. Beim Aufprall rutschte ihr der Stiel aus der Hand und das Werkzeug landete ein paar Meter entfernt im Schnee.
»Vorsichtig, Mr Sharp!«, mahnte Dr. Barlow.
Aber Deryn beachtete sie nicht, sondern sah sich die Stelle genau an. An einem Glied zeigte sich ein winziger Riss, jedoch zu schmal, als dass ein anderes Glied hindurchgleiten konnte.
Mit genügend Kraft würde sich das Metall vielleicht verbiegen.
Deryn rief zum Sturmläufer hinauf: »Alek soll ziehen, so stark er kann!«
Dr. Barlow nickte und kurz darauf dröhnten die Motoren wieder. Die Maschine wechselte von einem Fuß auf den anderen und grub sich tiefer in den Schnee. Funken
sprühten, als die Metallfüße über den nackten Fels des Untergrunds scharrten. Der Schlitten kroch ein Stück vorwärts und stieß Deryn ans Knie wie ein riesiges Tier, das auf sich aufmerksam machen will.
Das gerissene Glied bog sich auf, der Spalt wurde größer und größer, je länger die Motoren des Läufers daran zerrten. Deryn ging sicherheitshalber einen Schritt zurück. Die Kette würde um sich schlagen wie eine riesige Peitsche, wenn sie riss.
Deryn suchte den Horizont ab. Die beiden Luftschiffe hatten sich aufgeteilt, um die Leviathan aus entgegengesetzten Richtungen anzugreifen. Der Himmel schien zu wogen, als die Schwärme von der Leviathan aufstiegen. Doch der Wal selbst lag reglos auf dem Boden und war nicht in der Lage, den Mechanisten zu entfliehen.
»Pusteln und Karbunkel!« Deryn stapfte zur Axt und zog sie aus dem Schnee. Ein richtiger Kracher auf die Kette und das brüllende Glied würde brechen.
Sie packte einen losen Frachtriemen, um sich festzuhalten, und lauschte den Motoren des Sturmläufers. Nachdem sie den Rhythmus aufgenommen hatte, hob Deryn die Axt mit einer Hand und schlug zu, als die Motoren gerade den lautesten Punkt ihres Dröhnens erreicht hatten …
Die Kette zersprang und peitschte so schnell durch die Luft, dass man sie mit den Augen nicht verfolgen konnte. Der von seiner Last befreite Läufer stolperte vorwärts, die Kette glitt durch den Metallring in seiner Mitte. Das
lockere Ende schlug einige Male hin und her, sogar an den Kopf des Läufers, woraufhin sich Dr. Barlow eilig ins Innere zurückzog.
Doch die Kette hing immer noch an der linken Seite des Schlittens … Und während das lose Ende durch den Stahlring am Läufer glitt, flog die Kette genau auf Deryn zu.
Sie ließ sich in den Schnee fallen und hörte, wie das Metall über sie hinwegpfiff. Die Kette krachte an die Fracht auf dem Schlitten und riss einige Mehlsäcke auf. Weißer Staub stieg in die Luft.
Dann blieb die Kette im Schnee liegen.
Deryn erhob sich und hustete, weil sie Mehl eingeatmet hatte.
Etwas stieß ihr ans Knie …
Der Schlitten schob sie unaufhaltsam voran und wurde immer schneller. Doch wovon wurde er gezogen?
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