Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)
daran.«
Miller wartete auf eine Antwort, doch Holden wusste darauf nichts zu sagen. Es kam ihm vor, als habe der Detective die Ansprache schon vor einer ganzen Weile vorbereitet, also ließ er ihn einfach reden.
»Mars findet heraus, dass die Erde möglicherweise heimlich ein paar Schiffe gebaut hat, die nicht gekennzeichnet sind. Eins von ihnen hat vielleicht ein marsianisches Flaggschiff vernichtet. Ich möchte wetten, dass Mars dort anruft, um sich zu vergewissern. Ich meine, es ist doch die Raummarine der Erde-Mars-Koalition. Eine große, glückliche Hegemonie. Sie lassen seit fast hundert Jahren das ganze Sonnensystem nach ihrer Pfeife tanzen. Die befehlshabenden Offiziere schlafen praktisch zusammen. Also kann es nur ein Irrtum sein, oder?«
»Gut.« Holden wartete ab.
»Also ruft Mars an. Ein großer Mann auf dem Mars ruft einen großen Mann auf der Erde an.«
»Scheint plausibel«, stimmte Holden zu.
»Was glauben Sie, was die Erde sagen wird?«
»Keine Ahnung.«
Miller beugte sich vor, öffnete ein Display und wählte eine Datei aus, die seinen Namen trug. Der Datumsstempel war weniger als eine Stunde alt. Es war die Aufzeichnung einer Nachrichtensendung vom Mars, hinter einer marsianischen Kuppel war der Nachthimmel zu erkennen. Streifen und Blitze erhellen den Himmel. Das Laufband am unteren Rand besagte, dass auf einmal Schiffe der Erde in einer Umlaufbahn um den Mars aufgetaucht seien und ohne Vorwarnung auf marsianische Schiffe gefeuert hätten. Die Streifen am Himmel seien Raketen. Die Blitze seien sterbende Schiffe.
Auf einmal erhellte ein gewaltiger Ausbruch die marsianische Nacht ein paar Sekunden lang, und dann erklärte das Laufband, die Tiefraumradarstation auf Deimos sei zerstört worden.
Holden saß da und sah zu, wie das Video in lebhaften Farben und mit fachkundigen Kommentaren versehen das Ende des Sonnensystems zeigte. Er wartete, ob die Lichtstreifen sich auch auf den Planeten selbst hinabsenkten und die Kuppeln in atomarem Feuer vergingen, doch anscheinend übte jemand ein wenig Zurückhaltung, und die Schlacht blieb auf den Himmel beschränkt.
So konnte es allerdings nicht für immer bleiben.
»Sie werfen mir vor, ich hätte das getan«, sagte Holden. »Wenn ich die Daten nicht gesendet hätte, wären die Schiffe nicht zerstört worden, die Menschen wären nicht gestorben.«
»Genau. Und falls die bösen Jungs erreichen wollten, dass niemand sich um Eros kümmert, dann hat es wunderbar funktioniert.«
36 Miller
Die Berichte über den Krieg kamen herein. Miller verfolgte in Fenstern auf seinem Terminal fünf Feeds gleichzeitig. Mars war schockiert, erstaunt, entsetzt. Der Krieg zwischen Mars und Gürtel – der größte, gefährlichste Konflikt in der Geschichte der Menschheit – war auf einmal ein Nebenschauplatz. Die Sprecher der irdischen Sicherheitskräfte sprachen von vorausschauender Verteidigung und schwankten zwischen gelassenen, rationalen Erörterungen und wutschäumenden Anschuldigungen gegen den Mars, der von einem Haufen Tieren bewohnt sei, die die eigenen Kinder schändeten. Der Angriff auf Deimos hatte den Mond in einen sich langsam ausbreitenden Ring aus Kieselsteinen in der Umlaufbahn des ehemaligen Himmelskörpers verwandelt, ein bloßer Schmutzfleck am Marshimmel. Damit hatte das Spiel abermals eine neue Wendung genommen.
Miller sah zehn Stunden zu, wie aus dem Angriff eine Blockade wurde. Die marsianische Marine, die im ganzen System verteilt war, kehrte mit Höchstgeschwindigkeit nach Hause zurück. Die Feeds der AAP sprachen bereits von einem Sieg, und vielleicht hielten das einige sogar für die Wahrheit. Manche Bilder kamen von den Einheiten herein, die noch über entsprechende Sensoren verfügten. Tote Kriegsschiffe, deren Seiten von starken Explosionen aufgerissen waren, flogen rotierend auf unregelmäßigen Umlaufbahnen. Sanitätsstationen wie die auf der Rosinante waren voller Jungen und Mädchen, die halb so alt waren wie er und bluteten oder an Brandwunden starben. Mit jedem Zyklus kamen neue Meldungen herein, neue Einzelheiten über Tod und Gemetzel. Jedes Mal, wenn ein neues Video eingespielt wurde, beugte er sich vor, legte die Hand auf den Mund und wartete auf das Wort, auf das Ereignis, mit dem alles zu Ende gehen würde.
Doch es war noch nicht geschehen, und mit jeder Stunde, die verging, wuchs seine Hoffnung ein wenig, dass es vielleicht und wider Erwarten doch nicht so weit kommen würde.
»He.« Amos stand in Millers offener
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