Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)
etwas antworten, dann betrachtete er das Ringbuch, das Naomi auf das Leck gepappt hatte. Auf der weißen Hülle stand in schwarzen Druckbuchstaben: RMMR NOTFALLPROZEDUR. Er musste ein Lachen unterdrücken. Es war zum Ausflippen komisch.
»Jim«, sagte Naomi besorgt.
»Schon gut.« Holden holte tief Luft. »Wie lange halten die Flicken?«
Naomi deutete mit beiden Händen ein Achselzucken an, raffte die Haare hinter dem Kopf zusammen und fixierte sie mit einem elastischen Band.
»Länger, als die Luft reichen wird. Wenn rundherum alles dekomprimiert ist, läuft die Kabine nur noch mit der Notversorgung. Die Luft wird nicht mehr aufbereitet. Ich weiß nicht, wie viel jeder Raum hat, aber mehr als zwei Stunden dürften es nicht sein.«
»Da könnte man sich wünschen, wir hätten die Raumanzüge getragen«, meinte Amos.
»Das wäre egal gewesen«, widersprach Alex. »Die hätten sie uns sowieso abgenommen.«
»Wäre immerhin einen Versuch wert gewesen«, entgegnete Amos.
»Tja, wenn du in der Zeit zurückspringen und es probieren möchtest, dann erzähl mir gelegentlich, wie es gelaufen ist.«
»He«, sagte Naomi scharf, dann schwieg sie.
Niemand erwähnte Shed. Sie gaben sich große Mühe, den Toten nicht zu betrachten. Holden räusperte sich, um die anderen auf sich aufmerksam zu machen, und schwebte zu Sheds Liege hinüber. Die Blicke der anderen folgten ihm. Er hielt kurz inne, damit sich alle den enthaupteten Körper ansehen konnten, und zog eine Decke aus dem Fach unter der Liege, die er mit den Gurten über dem Toten festschnallte.
»Shed ist umgekommen, wir sitzen in der Tinte. Streitereien werden unsere Lebenserwartung keine Sekunde erhöhen.« Er blickte seine Crewmitglieder der Reihe nach an. »Was hilft uns jetzt?«
Niemand sagte etwas. Holden wandte sich zuerst an Naomi.
»Naomi, was können wir tun, um möglichst lange am Leben zu bleiben?«
»Ich versuche mal, die Notversorgung zu finden. Der Raum ist für sechs Personen ausgelegt, und wir sind … wir sind jetzt nur noch vier. Möglicherweise kann ich den Zustrom drosseln, damit wir länger auskommen.«
»Gut. Danke. Alex?«
»Falls sie dazu in der Lage sind, werden sie nach Überlebenden suchen. Ich kann gegen das Schott hämmern. Im Vakuum hört man das nicht, aber falls es mit Luft gefüllte Kabinen gibt, pflanzt sich der Schall durch das Metall zu ihnen fort.«
»Gute Idee. Ich kann nicht glauben, dass wir die einzigen Überlebenden auf diesem Schiff sind.« Schließlich wandte Holden sich an Amos. »Amos?«
»Ich könnte mir die Com-Anlage vornehmen. Vielleicht erreiche ich die Brücke oder Rettungstrupps oder … verdammt, irgendjemanden eben.«
»Danke. Es wäre schön, wenn wir jemandem mitteilen könnten, dass wir hier sind«, erwiderte Holden.
Sie machten sich an die Arbeit, während Holden neben Shed in der Luft schwebte. Naomi riss die Wandvertäfelung auf. Alex stemmte sich mit den Händen gegen eine Liege und bearbeitete die Luke mit den Stiefeln. Jeder Tritt hallte leicht in dem Raum. Amos zog ein Vielzweckwerkzeug aus der Hosentasche und nahm die Sprechanlage auseinander.
Als Holden sicher war, dass die anderen beschäftigt waren, legte er Shed knapp unter dem roten Fleck, der sich auf der Decke ausbreitete, die Hand auf die Schulter.
»Tut mir leid«, verabschiedete er sich flüsternd von dem Toten. Seine Augen brannten, er rieb sie sich mit den Daumen trocken.
Die Sprechanlage hing bereits an Drähten aus der Vertäfelung, als sie auf einmal laut summte. Amos stieß einen erschrockenen Schrei aus, drückte sich unwillkürlich fest ab und segelte quer durch den Raum. Holden fing ihn ab und verrenkte sich die Schulter, als 120 Kilo Mechaniker gegen ihn prallten. Wieder summte die Sprechanlage. Holden ließ Amos los und schwebte hinüber. Neben einer gelb leuchtenden LED befand sich ein weißer Knopf. Holden drückte darauf, und nun war Leutnant Kellys Stimme zu hören.
»Ziehen Sie sich von der Luke zurück, wir kommen rein«, sagte er.
»Haltet euch irgendwo fest«, rief Holden der Crew zu. Er packte einen Gurt der Liege und wickelte ihn sich um Hand und Unterarm.
Als sich die Luke öffnete, rechnete Holden mit einem erneuten Druckabfall, doch es gab nur ein lautes Knacken, und der Druck sank vorübergehend ein wenig ab. Draußen klebten dicke Plastikplanen an den Wänden und schufen eine improvisierte Luftschleuse. Die Planen wölbten sich unter dem Luftdruck gefährlich nach außen, doch sie hielten. Innerhalb
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