Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)
»Wir haben getan, was wir tun konnten. Jetzt hören Sie auf herumzuzicken, befördern Sie Ihren Arsch nach draußen und fangen Sie Verbrecher, Detective.«
»Ja, Captain«, sagte Miller.
Muss saß an Millers Schreibtisch, als er zurückkehrte. Sie hatte eine Tasse in der Hand, in der sich entweder starker Tee oder dünner Kaffee befand, und nickte in die Richtung seines Schreibtischmonitors. Dort waren drei Gürtler zu sehen – zwei Männer und eine Frau –, die gerade ein Lagerhaus verließen. Sie trugen einen orangefarbenen Behälter. Miller runzelte die Stirn.
»Beschäftigte eines unabhängigen Gaslieferanten. Stickstoff, Sauerstoff. Schlichte Atmosphärengase, nichts Exotisches. Anscheinend haben sie den armen Kerl in einem ihrer Lagerhäuser festgehalten. Ich habe die Gerichtsmedizin hingeschickt, um zu sehen, ob sich Blutspritzer als Beweise finden.«
»Gute Arbeit«, sagte Miller.
Muss zuckte mit den Achseln: Ich mach nur meinen Job.
»Wo sind die Täter jetzt?«, fragte Miller.
»Gestern abgeflogen. Nach den Flugplänen wollen sie zu Io.«
»Io?«
»Die Zentrale der Erde-Mars-Koalition«, sagte Muss. »Möchten Sie wetten, ob sie jemals dort ankommen?«
»Klar«, sagte Miller. »Ich setze fünfzig, dass sie nicht dort ankommen.«
Darüber lachte Muss sogar.
»Ich habe sie zur Fahndung ausgeschrieben«, fuhr sie fort. »Wo immer sie auftauchen, werden die örtlichen Behörden es registrieren und mit Dos Santos in Verbindung bringen.«
»Dann wäre der Fall abgeschlossen.«
»Wieder ein Punkt zum Abhaken«, stimmte Muss zu.
Der Rest des Tages verlief hektisch. Dreimal Körperverletzung, zweimal aus offensichtlich politischen Gründen, einmal häuslich. Muss und Miller erledigten die drei Fälle noch vor dem Ende der Schicht. Am nächsten Tag würden sie neue Aufträge bekommen.
Nach Feierabend blieb Miller an einem Imbisswagen vor einer Bahnstation stehen und erstand eine Schale Retortenreis und gepresstes Protein, das an Teriyaki-Huhn erinnerte. In der Bahn lasen die normalen Bürger von Ceres die Nachrichtenfeeds oder hörten Musik. Ein junges Paar, das eine halbe Wagenlänge entfernt stand, kuschelte sich eng zusammen. Die beiden murmelten und kicherten. Sie waren höchstens sechzehn oder siebzehn. Er konnte beobachten, dass der Junge die Hand unter das Hemd des Mädchens schob. Sie protestierte nicht. Eine alte Frau, die Miller direkt gegenübersaß, war eingeschlafen. Der Kopf prallte leicht gegen die Wand, ihr Schnarchen klang beinahe damenhaft.
Um diese Leute ging es, sagte Miller sich. Normale Leute, die in einem ausgehöhlten Fels mitten im grausamen Vakuum ihr kleines Leben lebten. Wenn die Aufstände in der Station um sich griffen, wenn die Ordnung versagte, dann würden all diese Leben zerstört werden wie ein Kätzchen in einem Fleischwolf. Leute wie er, Muss und sogar Shaddid waren dafür zuständig, dass dies nicht geschah.
Warum gehört es dann nicht zu deinem Job, den Mars daran zu hindern, eine Atombombe abzuwerfen und Ceres wie ein Ei zerplatzen zu lassen?, fragte ein Stimmchen in seinem Hinterkopf. Was bedroht den Kerl da drüben mehr, ein paar unlizenzierte Huren oder ein Krieg zwischen dem Gürtel und dem Mars?
Wem konnte es schaden, wenn er in Erfahrung brachte, was mit der Scopuli passiert war?
Natürlich kannte er die Antwort darauf. Er konnte nicht beurteilen, wie gefährlich die Wahrheit war, solange er sie nicht kannte – und allein dies war schon ein guter Grund weiterzumachen.
Anderson Dawes, der AAP-Mann, saß vor Millers Wohnloch auf einem stoffbespannten Klappstuhl und las ein Buch. Es war ein echtes Buch, Dünndruckpapier mit einem Einband, der womöglich sogar aus echtem Leder bestand. Miller hatte schon einmal Fotos dieser Objekte gesehen. Es kam ihm dekadent vor, so viel Gewicht auf ein einziges Megabyte an Daten zu verschwenden.
»Detective.«
»Mister Dawes.«
»Ich hatte gehofft, dass wir uns unterhalten können.«
Als sie hineingingen, war Miller froh, dass er ein wenig aufgeräumt hatte. Die Bierflaschen waren im Recycler verschwunden, die Tische und Schränke abgestaubt. Die kaputten Polster auf den Stühlen waren geflickt oder ersetzt. Als Dawes sich setzte, erkannte Miller, dass er die häuslichen Arbeiten in Erwartung dieses Treffens auf sich genommen hatte. Das wurde ihm allerdings erst jetzt klar.
Dawes legte das Buch auf den Tisch, suchte etwas in der Jackentasche und legte schließlich einen dünnen schwarzen Filmchip auf den
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