Lewis, Michael
sich
selbst interessiert. Nun, im Alter von 35 Jahren, hatte er Neues über sich
erfahren - und seine erste Reaktion darauf war, dass er wünschte, das wäre nie
passiert. »Mein erster Gedanke war, dass bestimmt eine ganze Menge Leute am Asperger-Syndrom
leiden und es gar nicht wissen«, sagte er. »Und ich fragte mich ernsthaft, ob
es in dem Moment gut für mich war, es zu wissen. Musste ich wirklich so etwas
über mich erfahren?«
Dann
suchte er sich einen eigenen Therapeuten, der ihm dabei helfen sollte
abzuklären, inwieweit sich seine Krankheit auf seine Frau und Kinder auswirkte.
Sein Arbeitsleben blieb von der neuen Erkenntnis jedoch weitgehend unberührt.
Er sah keine Veranlassung, etwas daran zu ändern, wie er über eine Investition
entschied oder wie er mit seinen Investoren kommunizierte. Er teilte seinen
Investoren seine Diagnose nicht mit. »Ich hatte nicht das Gefühl, dass es für
sie von Bedeutung sei und dass ich es ihnen deshalb sagen müsste«, meinte er.
»Schließlich hatte sich ja nichts geändert. Ich war ja nicht plötzlich erkrankt.
Ich hatte das Asperger-Syndrom doch schon mein Leben lang.« Andererseits
erklärte die Krankheit durchaus, weshalb er sich für seinen Beruf entschieden
hatte und wie er ihn ausübte: Seine Versessenheit nach Fakten und Zahlen, sein
Beharren auf logischen Zusammenhängen, seine Fähigkeit, sich rasch durch hohe
Stapel langweiliger Jahresabschlüsse und Bilanzen zu arbeiten. Asperger-Erkrankte
können ihre Interessen nicht steuern. Es war einfach nur Glück, dass sich sein
Hauptinteresse auf die Finanzmärkte richtete und nicht auf, sagen wir mal, das
Sammeln von Rasenmäherkatalogen. In dem Moment, in dem er seine Krankheit aus
dieser Perspektive betrachtete, wurde ihm klar, dass komplexe moderne
Finanzmärkte in gewisser Weise die maßgeschneiderte Belohnung für
Asperger-Betroffene waren, die sich für die Finanzwelt interessierten. »Nur
Menschen, die an dem Asperger-Syndrom leiden, lesen eine Werbebroschüre über
minderwertige hypothekenunterlegte Anleihen von A bis Z durch«, sagte er.
Anfang
2007 sah sich Michael Burry mit einer für ihn typischen, bizarren Situation
konfrontiert. Er hatte Versicherungen für eine ganze Menge schrottiger
Subprime-Hypothekenanleihen erworben, die sich aus Darlehen zusammensetzten,
die 2005 vergeben worden waren, aber es waren seine Default Credit Swaps. Von
anderen wurden sie kaum gehandelt. Viele Leute vertraten die Ansicht, dass
Kredite aus dem Jahr 2005 irgendwie solider waren als Darlehen von 2006; in der
Rentenmarktsprache hieß das »off the run«. Das war ihre dickste Lüge: Die Kreditpools,
gegen die er spekuliert hatte, bestanden aus »einigermaßen einwandfreien
Darlehen«. Zur Überprüfung dieser Behauptung hatte er eine Studie in Auftrag
gegeben, und ihr zufolge war die Wahrscheinlichkeit, dass die Darlehenspools,
die er leerverkauft hatte, in Konkurs gehen, doppelt so hoch und die
Wahrscheinlichkeit einer Zwangsversteigerung drei Mal so hoch wie bei den ramschigen
Transaktionen von 2005. Kredite aus dem Jahr 2006 waren tatsächlich
minderwertiger als Kredite von 2005, was aber nichts daran änderte, dass auch
Kredite von 2005 grottenschlecht waren. Außerdem rückte der Tag näher, an dem
die Zinssätze neu festgelegt werden würden. Burry hatte sich genau die
richtigen Hauseigentümer herausgepickt, gegen die er spekulieren konnte.
Im
gesamten Jahr 2006 und auch in den ersten Monaten des Jahres 2007 schickte
Burry Goldman, der Bank of America und Morgan Stanley eine Liste mit seinen
Credit Default Swaps und bat die Banken, diese Liste doch möglichen Käufern zu
zeigen, damit er sich eine Vorstellung vom Preisgefüge des Marktes machen
könnte. Schließlich war das die Aufgabe dieser Händler. Sie waren Mittelsmänner.
Marktmacher. Doch sie erfüllten diese Funktion nicht. »Offensichtlich saßen die
Händler bloß auf meiner Liste und spekulierten selbst extrem opportunistisch«,
sagte Burry. Die Daten der Hypothekendienstleister wurden von Monat zu Monat
immer schlechter - die Darlehen, die der Sicherung der Anleihen dienten,
gerieten immer schneller in Verzug -, und trotzdem hieß es, dass der Preis für
die Versicherung dieser Anleihen sinken würde. »Mit Logik hatte das nichts mehr
zu tun«, meinte er. »Ich konnte die Ergebnisse, die ich vor meinen Augen
hatten, einfach nicht erklären.« Am Ende jedes Arbeitstages gab es eine kleine
Abrechnung: War der Subprime-Markt gefallen, würde Geld
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