Lewis, Michael
geknüpft.
Die
Neigung zur Zwanghaftigkeit war in seinen Augen ein weiteres besonderes Merkmal
seiner Persönlichkeit. In seinem Denken gab es keine gemäßigte Zone. Entweder
war er besessen von einem Thema oder es interessierte ihn überhaupt nicht.
Diese Eigenschaft hatte natürlich einen eklatanten Nachteil, denn es fiel ihm
ungleich schwerer, Interesse an den Anliegen und Hobbys anderer zu heucheln.
Sie hatte aber auch einen Vorteil: Schon als Kind hatte er die fantastische Fähigkeit,
mit oder ohne Lehrer konzentriert zu lernen. Sofern sich die Fächer mit seinen
Interessen überschnitten, fiel ihm das Lernen leicht - so leicht, dass er als
Studienanfänger an der UCLA zwischen Englisch und Wirtschaftswissenschaften
hin- und herwechseln und nebenbei noch genügend Vorbereitungskurse für Medizin
belegen konnte, um die Zulassung zu den besten medizinischen Fakultäten des
Landes zu erhalten. Seine ungewöhnliche Konzentrationsfähigkeit schrieb er
seinem mangelnden Interesse an zwischenmenschlichen Interaktionen zu. Im
Grunde konnte er alles, was ihm passierte, auf die eine oder andere Weise mit
seinem künstlichen linken Auge erklären.
Die
Fähigkeit zu konzentriertem Arbeiten unterschied ihn von anderen
Medizinstudenten. 1998 erzählte er in der Facharztausbildung zum Neurologen am
Stanford Hospital vor Vorgesetzten, dass er sich zwischen den
14-Stunden-Schichten im Krankenhaus zwei Nächte in Folge um die Ohren
geschlagen hatte, um seinen PC auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen,
damit er schneller lief. Da schickten sie ihn zum Psychiater, der bei Mike
Burry eine manisch-depressive Erkrankung diagnostizierte. Burry wusste gleich,
dass das nicht zutraf. Wie konnte er manisch-depressiv sein, wenn er nie depressiv
war? Oder nur dann, wenn er Visite machte und so tat, als sei er an der
medizinischen Praxis interessiert, obwohl es ihm eigentlich nur um das Studium
der Medizin ging? Er war in erster Linie deshalb Arzt geworden, weil ihm die
medizinische Ausbildung mehr oder minder zugeflogen war - und nicht, weil ihm
das Fach so viel Spaß machte. Und die medizinische Praxis fand er langweilig
bis abstoßend. Über seine erste Erfahrung im Präparierkurs sagte er: »Als ich
sah, wie Teilnehmer Beine auf der Schulter zum Waschbecken trugen, um den Kot
abzuwaschen, drehte sich mir der Magen um, und das war's für mich.« Über seine
Gefühle den Patienten gegenüber: »Ich wollte den Menschen helfen - und auch
wieder nicht.«
Wirklich
interessiert war er an Computern - nicht um ihrer selbst willen, sondern weil
sie seiner lebenslangen Obsession dienten: der Beschäftigung mit dem
Aktienmarkt und seiner Funktionsweise. Seit ihm sein Vater in der Grundschule
die ersten Kurstabellen im hinteren Teil der Zeitung gezeigt und gesagt hatte,
die Börse sei ein einziger großer Schwindel und man dürfe ihr nicht trauen und
schon gar nicht dort investieren, hatte ihn das Thema fasziniert. Schon als
Kind suchte er die Logik in dieser Welt der Zahlen. Er begann, sich zum Zeitvertreib
über die Märkte zu informieren. Und er erkannte rasch, dass hinter all den
Charts und Diagrammen und Wellen und dem unaufhörlichen Geschnatter der vielen
selbst ernannten Marktprofis keine Logik steckte. Dann kam die Dotcom-Blase,
und plötzlich spielte der gesamte Aktienmarkt verrückt. »Die späten neunziger
Jahre hätten mich um ein Haar zum wertorientierten Investor gemacht, denn das,
was alle anderen taten, hielt ich für absoluten Wahnsinn«, erzählte er. Das von
Benjamin Graham während der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre des 20.
Jahrhunderts zum Anlageansatz formalisierte »Value Investing« erforderte die
unermüdliche Suche nach Unternehmen, die so unpopulär oder missverstanden
waren, dass man sie unter ihrem Veräußerungswert einkaufen konnte. In seiner
einfachsten Form war wertorientiertes Investieren eine Formel, doch diese hatte
im Laufe der Zeit unterschiedliche Gestalten angenommen - zum Beispiel in den
Aktivitäten, die Benjamin Grahams Schüler Warren Buffett, der berühmteste
Value-Investor, seinem Geld angedeihen ließ.
Burry
war nicht der Ansicht, dass sich die Kapitalanlage auf eine Formel reduzieren
oder von einem Vorbild abschauen ließ. Je länger er sich mit Buffett befasste,
desto weniger glaubte er, dass man ihn kopieren konnte. Tatsächlich lernte er
von Buffett: »Wer ein Ausnahmeinvestor werden will, muss seinen Stil der
eigenen Persönlichkeit anpassen. Ich merkte irgendwann, dass
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