Lewis, Michael
Selbstverständlichkeit, eine
Einschätzung dieser undurchsichtigen Bündel riskanter Darlehen abzugeben. »In
Las Vegas wurde mir klar, dass diese Riesenbranche sich stumpf auf die
Bewertungen verließ«, sagte Eisman. »Das taten sie alle, ausnahmslos, denn dann
mussten sie über eine Sache nicht mehr nachdenken.«
Eisman
hatte knapp 20 Jahre an der Wall Street gearbeitet, doch wie die meisten
Börsianer hatte er noch kein einziges Gespräch mit Leuten von Moody's oder
Standard & Poor's geführt. Börsianer scherten sich herzlich wenig um
Ratingagenturen, außer sie vertraten Versicherungsgesellschaften, die ab dem
Moment, an dem Zweifel an ihren Fähigkeit, ihren Verpflichtungen nachzukommen,
laut wurden, nicht mehr in der Lage waren, ihre Produkte zu verkaufen. Nun
hatte Eisman zum ersten Mal persönlichen Kontakt mit den Ratingagenturen.
Sofort fiel ihm - und auch Danny und Vinny - auf, von welchem Kaliber diese
Leute waren. »Es war, als ob man in ein Postamt kommt. Die Leute, die dort
arbeiten, sind irgendwie anders gestrickt als der Rest der Bevölkerung«, erzählte
Vinny. »Und die Mitarbeiter der Ratingagenturen waren eher verkappte Beamte.«
Gemeinsam hatten sie mehr Macht als jeder andere auf dem Rentenmarkt, aber
jeder für sich betrachtet war ein Niemand. »Sie sind unterbezahlt«, sagte
Eisman. »Die klügsten Köpfe kündigten ihren Job und fingen bei einer
Wall-Street-Firma an, um von dort aus ihre ehemaligen Arbeitgeber zu
manipulieren. Das Höchste der Gefühle sollte eigentlich sein, als Analyst bei
Moody's einzusteigen. Ein Gefühl wie: >Höher kann ich die Karriereleiter
nicht hinaufklettern<. Doch stattdessen ist man ganz unten angekommen. Es
interessiert doch einen Scheißdreck, ob Goldman die Papiere von General
Electric gut findet oder nicht. Wenn Moody's diese Papiere abwertet, ist das
eine Riesensache. Und weshalb will der Kerl von Moody's dann unbedingt bei
Goldman Sachs arbeiten? Es müsste genau andersherum sein, der Bankanalyst von
Goldman Sachs sollte sich nichts sehnlicher wünschen als eine Stelle bei
Moody's. Die Ratingagenturen mussten die Elite des Finanzwesens sein.«
Die
gesamte Branche stand und fiel mit den Ratingagenturen, doch ihre Mitarbeiter
gehörten einfach nicht dazu. Wenn sie durch die Spielhallen schlenderten, hielt
man sie für unbedeutende Angestellte von Geschäftsbanken wie Wells Fargo oder
für Wasserträger von Hypothekengebern wie Option One, für typische
Büromenschen eben. Sie trugen in Las Vegas Anzüge, was einem schon die Hälfte
dessen verriet, was man über sie wissen musste - und die andere Hälfte verriet
einem der Preis ihres Anzugs. Fast alle anderen Teilnehmer trugen legere
Bürokleidung, und nur die wenigen großen und wirklich wichtigen Tiere trugen
einen 3000-Dollar-Anzug eines italienischen Designers. (Eines der Mysterien des
männlichen Wall-Street-Angestellten war, dass er keinen Wert auf modische
Feinheiten legte, aber nichtsdestotrotz im Bruchteil einer Sekunde erkannte,
wie viel Dollar der Anzug seines Gegenübers gekostet hatte.) Die Mitarbeiter
der Ratingagenturen trugen blaue Anzüge von J. C. Penny, mit farblich zu gut
darauf abgestimmten Krawatten und Hemden, die ein bisschen zu arg gestärkt waren.
Sie waren keine Spieler, und sie wussten auch nicht, welche der Anwesenden
Spielernaturen waren. Sie wurden dafür bezahlt, die Anleihen von Lehman, Bear
Stearns und Goldman Sachs zu bewerten, aber sie kannten weder die Namen noch
andere wichtige Informationen über die Mitarbeiter dieser Geldinstitute, die
ein Vermögen daran verdienten, sich die Schlupflöcher der Modelle der
Ratingagenturen zunutze zu machen. Sie erweckten zwar den Anschein, als
wussten sie genug, um zu Recht auf ihren Posten zu sitzen, aber das war es dann
auch schon. Sie schienen eher verzagt, ängstlich und risikoscheu zu sein. Oder
wie Danny es beschrieb: »Sie sind nicht der Typ Mann, den man am Spieltisch
findet.«
In
Las Vegas wurde Eisman klar, dass »ich der Einzige war, der sich solche Sorgen
machte - die Ratingagenturen taten dies jedenfalls nicht. Ich weiß noch genau,
wie ich dasaß und mir dachte: Mannomann, wie jämmerlich ist das denn? Sie
wissen schon, dieses Gefühl, wenn man es mit einem Kerl mit messerscharfem
Verstand zu tun bekommt: Das spürt man irgendwie. Wenn Sie zufällig mit Richard
Posner [dem Rechtsgelehrten] an einem Tisch sitzen, dann wissen Sie intuitiv:
Das muss Richard Posner sein. Und genauso verhält es sich mit
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