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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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in Verbindung zu bringen. Einzig Wolfi reagierte. Er
stand von seinem Platz auf, ging zu Tabakoff, nahm ihn herzlich in die mageren
Arme, flößte ihm einen Schluck Wein ein, strich ihm behutsam über die Glatze;
und als Tabakoff sich beruhigt hatte, ging der schweigende Wolfi an seinen
Platz zurück, als wäre nichts geschehen.
     
    Schumen
     
    Aha, Schumen.
    Ich
habe nicht aufgepasst. Wir fahren schon mitten durch Schumen hindurch. Die
Straßen gerade, Strommasten aus Beton, Wind weht, Papiere flattern herum,
einzelne müde Geher mit schweren Taschen sind unterwegs, Müllkörbe hängen halb
losgerissen von ihren Stangen. Ein Ort, den keiner besucht, aber nicht, weil er
sich besonders hartnäckig der Entdeckung entzöge. Idioten wie wir kommen
hierher oder eingefleischte Ostromantiker, die jedes rosionszerfressene. Blech
mit feiner, wisserischer Rührung begrüßen.
    Die
üblichen verwahrlosten Kästen mit schiefgerosteten Balkonen, langen Pilz- und
Rostnasen, mit Röhren, die als krumme Haken von den Wänden wegragen.
Triefäugige Nässeflecke um die Fenster; ausnahmslos alle Blöcke befallen von
der Gebäudelepra, mit Staatsgeschwulsten, Staatsschrunden schon zur Welt
gekommen, hier allerdings noch mit einer triumphalen Besonderheit: die Wohnungen
wurden aufeinander gestapelt . Beim Stapeln der Elemente hat's dicke
Klebwülste zwischen ihnen rausgequetscht. Die blieben, wie sie waren.
Schönheit? Wozu. Die kommunistische Amtsmaschine nimmt alle Menschen
gleichermaßen für blindes Geziefer.
    Es
geht die Paradestraße entlang, eine breite Geschäftsstraße mit Cafés. Ihr
einziger Vorzug besteht darin, dass zwischen den beiden Fahrstreifen eine Reihe
krüppelhafter Platanen steht. Wir beschließen, das heißt, die da vorne beschließen,
wozu ich nicke, zuerst auf das Plateau hochzufahren, um die Lage zu
überschauen.
    Schon
von weitem kommt das Monstrum in Sicht. Ein riesiger Betonblock auf einem
abgeflachten Berg, Block, der etwas von einer aufgeklopften, zerspaltenen
Hirnschale hat, aus der oben etwas rausquillt. Es führt eine Straße um den
Berg. Spärlicher Nadelwald, in Knieholz übergehend. Wenn wir die Köpfe
verdrehen und aus den Fenstern hinaufsehen, droht das Ding von oben.
    Rumen
stellt den Motor ab. Wir sind allein auf einem Parkplatz, groß wie ein
Olympiafeld, mit einer Bude am Rand, davor ein Moped, ein Ständer mit vergilbten
Postkarten und zwei dösende Hunde. Der Wind weht kalt und frei, unklar, von
wo. Im Inneren der Bude löst Rumen die Eintrittskarten, drei Eintritte für 11oo   Jahre Bulgarien.
    Wir
stehen vor dem Monument 11oo   Jahre
Bulgarien.
    Wortausfall.
    Die
üblichen Ausweichreflexe verfangen nicht. Wegfliegen müsste man können.
    Dreck.
Zwingdreck. Kraftdreck. Volkdreck. Was so an Worten beifällt, taugt nicht. Roh,
brutal, monströs - ja, das passt, aber es passt auf die meisten Denkmale der
letzten hundert Jahre, Ost wie West. Gewalttätig, gemein, unmäßig - stimmt
alles, aber härter und hässlicher ist dieses Ding. Wüst, abstoßend,
ungeschlacht - alles wahr, und doch fasst es das Schlimme nicht. Grober Dreck, missschaffener
Dreck, tückischer Dreck, widerwärtiger, erpresserischer Dreck - ja und nochmals
ja, aber mit Worten kann man das Monstrum nicht berennen.
    Sorgobesen.
Unsere schwäbische Großmutter kehrte früher mit einem Besen, der Sorgobesen
hieß, den Gehsteig. Ein himmlischer Sorgobesen müsste her, mit kilometerlangem
Stiel und Borsten aus Stahl, der das Plateau reinfegt, damit die Bulgaren
wieder frei Umschau halten können, damit sie Urlaub bekommen von ihrer
Zwangsgeschichte, damit sie diese Artefakte nie mehr sehen müssen, die ihnen
weismachen wollen, ihre Vorfahren wären als Klötze geboren, hätten als Klötze
alles abgeschlachtet, was ihnen vor die Hufe kam. Allein der Dauergrimm dieser
Figuren!
    Warum
sie in ihrem zerklüfteten Turm nicht auch noch eine Lautsprecheranlage
angebracht haben, um mit Gebrüll und Gekreisch, mit Schwerterkrachen und
Getrampel das Land anzuschreien? Oder einen Blutsprudelbrunnen?
    Es
ist bedrohlich still zwischen den Betonwänden, still wie an einem Unort. Selbst
Vögel vermeiden es, den künstlichen Riesenspalt zu durchfliegen.
    Was
da steht, ist nicht einfach hässlich, es ist böse. Aus der Norm und böse. Man
wird in die böse Geburtskluft hineingezwungen, in diese aufgesprungene,
aufgeklopfte, aufgezackte Hirnschale, worin die bulgarischen Helden der
Vergangenheit - nein, nicht schlummernd in ihren Felswiegen liegen

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