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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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recht graues, nicht recht weißes Federchen, das sie sich aus der Luft
gegriffen hat und nun in allen Einzelheiten betrachtet, indem sie es in die
linke Handhöhlung legt und mit dem Zeigefinger der Rechten sacht darüber
hinstreicht, als müsse sie es glätten und zur Ruhe legen, indem sie dann aber
wieder einen anderen Plan fasst, seinen zarten Kiel zwischen Daumen und Zeigefinger
nimmt und sich hingebungsvoll in den Anblick vertieft, wie der Wind das
Fläumchen auf der einen Seite drückt, auf der anderen Seite bauscht.
    Armer
Rumen. Aus und futsch. Die sittliche Erneuerung Bulgariens. Seine märchenhaften
Kräfte. Aus einem Mann, der diese märchenhaften Kräfte repräsentiert, ist im
Handumdrehen ein alberner Bulgare geworden, nichts weiter als ein alberner
Bulgare.
     
    Knackende
Flügel
     
    Stumm fuhren wir wieder weg, in ein Café, in das zu gehen wir bei
der Herfahrt beschlossen hatten. Stumm schlichen wir die Kurven des Berges
hinunter und schauten in das tote Knieholz, ein jeder von uns anders schweigsam
und anders verlassen.
    Jetzt
sitzen wir im Zeichen des Kummers enger beisammen, unser gemeinsamer Kummer
steht im höchsten Flor. Kummerkristalle blühen an Stelle von Schweiß auf
unseren Stirnen. Rumen raucht schweigend, ich prüfe schweigend meine Hände, als
wären es Teile, einer fremden Person gehörig, meine Schwester ist nur notdürftig
bei uns und sieht ins Ungefähre. Keiner von uns wendet nach einem anderen den
Kopf.
    Glanzkarten
aus Karton, groß wie Bilderbücher für kleine Kinder, liegen aus, die Photos
haben einen Rotstich, was es gibt, ist auch auf Englisch vermerkt, Pizza und
Chicken Nuggets, Seite für Seite, immer fort und fort solchen Kram, doch
gottlob, ich bin gerettet, es gibt den Salat mit Schafskäse, den ich andauernd
esse. Als Besonderheit scheint er hier durch eine Nudelmaschine gepresst zu
werden; das Photo zeigt ein Gewirr weißer Würmer über den Gurken- und
Tomatenstücken. Wir bestellen, und siehe da, meine Schwester öffnet den Mund:
Pizza Margherita.
    Und
zum Beweis, dass sie ein Mensch ist, der um die Pflicht weiß, dass ein Mensch
mit Menschen sprechen muss, gleich noch einmal: Pizza Margherita.
    Nicht
weit von uns steht eine Telefonzelle mit herausgerissener Tür, eine Schnur
hängt vom Telefonkasten herab, an deren Ende sich kein Hörer mehr befindet.
Zwei alte Frauen mit schwarzen Kopftüchern und Taschen groß wie Markttaschen
sitzen regungslos auf einer Bank, ihre Unterschenkel über Kreuz.
    Wenn
wir so wenig reden, üben wir vielleicht im geheimen eine Art von Askese. Ich
kann aber nicht erkennen, dass sie zu jener Geräumigkeit der Seele führt, wie
sie die Meister der Askese beschreiben - ein gelöster, gleichsam in tausend
Öltröpfchen zerschwebender Balsam, jedes einzelne Tröpfchen schillernd von
Gotteslob und Gottesgnade, fülle die geräumige Seele und erzeuge eine zarte
Drift.
    Ich
finde nichts Zartes oder Schwebendes in mir, fühle mich randvoll ausgegossen
mit Beton. Die Hörner des Hochmuts müssten erst zerbrochen werden, sagen die
Meister der Askese, das sei die Voraussetzung für eine durchgreifende
Freiräumung der Seele.
    Zwar
sind meine Hörner des Hochmuts gerade zerbrochen, aber es ist nichts
Gottgefälliges an ihre Stelle getreten, nur der Betonkummer, der sich vom Magen
her im ganzen Körper ausgebreitet hat und eigentlich zu groß ist für einen
Menschenleib, bequem unterzubringen nur in einem Elefanten. Selten greift mich
solcher Kummer tagsüber an. Normalerweise überfällt er mich mitten in der
Nacht. Ich erwache an ihm, bin umzingelt von ihm, bin einem regelrechten
Kummerfluch unterworfen, der mir beharrlich zu wissen gibt: besser, du wärest
nie geboren.
    Wir
hocken auf Plastikstühlen um einen schmierigen Plastiktisch, über uns ein
Fanta-Schirm. Wer uns so sieht, muss denken: kein schöner Anblick, diese Leute
sind verloren, sie sind untröstlich, jeder hockt für sich, und alle drei sind
Scheintote, die jeweils in verschieden toten Fluren wohnen.
    Die
Malflächen der Ikonen wurden mit Hasenhautleim abgebunden, sage ich. Ein
schüchterner Versuch, durch die Abgeschiedenheit zu dringen: Weiß jemand, ob Hasenhautleim
heute noch hergestellt wird?
    Rumen
schweigt, möglich, dass er Hasenhautleim nicht
verstanden hat, meine Schwester blickt nicht einmal auf. Ich erleide einen
Kleinmutanfall, der mich ins Schwätzen bringt, so eine komische Tuerei im
Kleide der Wissensgier: Das Jahr des Heils, als Boris I. sich zum Christentum
bekehrte

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